Bis es wieder regnet von Saleit Shahaf Poleg
Die Autorin im Büchergilde-Interview
In ihrem vielschichtigen Roman Bis es wieder regnet erzählt die israelische Autorin Saleit Shahaf Poleg vom Leben mit und von der Natur. Im Interview mit der Büchergilde gibt sie spannende Hintergundinformationen über die Geschichte und ihre Figuren.
In Ihrem Roman kommen vor allem die Generationen der Alten und der Jungen zu Wort, die Generation dazwischen wirkt fast abwesend. Warum?
Zunächst ist es wichtig, auf die Bedeutung der israelischen Landwirte zu schauen: Die zweite Einwanderungswelle nach Israel-Palästina zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand aus Pionier:innen. Die meisten von ihnen stammten aus gebildeten Familien und hatten die Vision, das Land zurückzugewinnen und landwirtschaftliches Leben in genossenschaftlichen und egalitären Gemeinschaften (dem Kibbuz und dem Moschaw) aufzubauen. Diese Siedlungen und ihre Bewohner:innen hatten großen Einfluss auf das politische Leben des zukünftigen Staates Israel. Sie waren nicht nur Landwirte – sie waren das Salz der Erde.
Deshalb habe ich beschlossen, die zweite Generation ein wenig beiseitezulassen und mich auf die erste und dritte Generation zu konzentrieren: Denn das sind die Generationen, die mehr als alles andere für den großen Wandel stehen – sowohl in der Familie Steinman als auch in ganz Israel. Die erste Generation ist geprägt von Ideologie und Erfolgserlebnissen, aber immer noch eine Generation der Immigrant:innen. Die dritte Generation hingegen (meine Generation) ist die wahre Sabra, die ultimative Israelin, die sich nicht mehr wirklich für die Vergangenheit oder Ideologie interessiert.
Die zweite Generation wollte vor allem die Prozesse beschleunigen, aber die Lösung lag nicht in ihren Händen. Im Hintergrund steht die Frage, was aus der Vision der Gründergeneration Israels und den Ideologien wird, auf denen diese Orte gründen. Über dieses Dilemma, die Kluft zwischen der Ideologie und ihren Unzulänglichkeiten, schreibe ich in meinem Roman.
Die Frauenfiguren im Buch sind entscheidungsstark: Großmutter Sophie, ihre Schwester Zippa, die Enkelinnen Gali und Jaeli und auch ihre Tante Nili nehmen ihr Leben selbst in die Hand. Mit den Männern aber haben sie eher Pech. Woran liegt das?
Es ist lustig, ich wurde tatsächlich schon einmal gefragt, warum ich keine Männer mag – oder zumindest nicht die Männer in meiner Geschichte –, dabei mag ich Männer sehr wohl! Ich bin mit einem Mann verheiratet und ziehe zwei baldige Männer groß.
Ich glaube, dieses „Pech“ der Frauen im Roman hat in erster Linie zu tun mit der toxischen Männlichkeit des Patriarchats, das damals vorherrschte – vor allem an Orten wie dem Dorf, über das ich schreibe. Die Vision der Pioniere von einer egalitären Gesellschaft war teilweise unvereinbar mit der Realität der Frauen. Obwohl sie die Felder bestellten, das Vieh hüteten und die Kinder großzogen, hatten sie nicht immer die gleichen Rechte wie die Männer. Zum Beispiel wurden ihre Stimmen bei Versammlungen nicht berücksichtigt. Der „Chor“, der zu Beginn jedes Teils des Romans (Elul, Tishre, Cheschwan) auftritt, ist eine Gruppe von Dorfältesten, allesamt Männer, die mit einer einzigen männlichen Stimme sprechen. Die Frauen, die in einer so engen Gesellschaft leben, sind gezwungen, ihre Rechte mit Nachdruck einzufordern, und werden dadurch schließlich noch „männlicher“ als die Männer um sie herum.
Der Roman ist die Geschichte der Frauen der Familie Steinman, und selbst als Gali und Jaeli den Moschaw, das Dorf, verlassen, werden sie von dieser Tradition verfolgt, was ihr problematisches Verhältnis zu den Männern erklärt.
Inwieweit prägt das Aufwachsen in einem Kibbuz die Bewohner:innen für das ganze Leben?
Ich nehme an, Sie meinen einen Moschaw, eine landwirtschaftliche Kollektivsiedlung, die kein Kibbuz ist. Der Hauptunterschied zwischen einem Moschaw und einem Kibbuz besteht darin, dass in einem Moschaw die Kinder bei ihren Eltern aufwachsen und jede Familie ihr eigenes Land hat, obwohl viele ihrer Grundstücke und Vermögenswerte auch gemeinschaftlich genutzt werden.
Das prägende Moment des Moschaws ist vielleicht eines der wichtigsten Themen, die ich in diesem Roman aufgreifen wollte. Zuerst stellt sich die Frage der Zugehörigkeit – wer gehört dazu und wer nicht. Wenn man in einem Moschaw, einem Dorf, geboren wird, kann man dann zu einem/einer Ausgestoßenen werden wie der Kranichmann? Und was ist mit Jaeli und Gali, die weggegangen sind und wieder zurückkommen? Wird man, wenn man aus der Stadt ins Dorf kommt, jemals als eine:r von ihnen angesehen – und fühlen sich alle, die in dieser Gemeinschaft geboren und aufgewachsen sind, wirklich zugehörig? Selbst diejenigen, die einen Tag nach dem Gründungstag der Siedlung angekommen sind, werden bereits als weniger privilegiert angesehen. Und ist es vor diesem Hintergrund überhaupt möglich, das Dorf zu verlassen? Kann man sich wirklich von diesen Gemeinschaftsideen verabschieden, die Gemeinschaft mit ihren Tugenden und Schwächen verlassen und nie mehr zurückblicken? Das weiß ich immer noch nicht genau.
Kann der Kibbuz oder der Moschaw als Mikrokosmos verstanden werden, in dem sich die Probleme des Landes spiegeln? Die landwirtschaftlichen Kollektivsiedlungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren zweifellos ein Vorbild für das junge Israel, und ihre Bedeutung für die Konstruktion des israelischen Narrativs ist unübertroffen.
Auf jeden Fall. Ich sehe die landwirtschaftlichen Kollektivsiedlungen und die Entwicklung, die sie seit ihrer Gründung bis heute durchlaufen haben, als ein Spiegelbild der Prozesse, die Israel durchlaufen hat und immer noch durchläuft. Wie ich bereits sagte, wurden diese Siedlungen hochgepriesen und waren viele Jahre lang ein Aushängeschild für das ganze Land. Sie waren ein Beispiel für ein bescheidenes, aber spirituell reiches bäuerliches Leben. Die Tatsache, dass der genossenschaftliche Gedanke in den Kibbuzen und Moschaws heute fast verschwunden ist, spiegelt definitiv den Wandel wider, dem sich Israel gegenübersieht, und die Tatsache, dass es sich von der Ideologie, auf der es gegründet wurde, entfernt hat.
Welche Vorstellung vom Glück haben die Figuren im Roman? Wie gehen sie mit Schicksalsschlägen und gesellschaftlichen Anforderungen um?
Glück ist eine Frage der Erwartungen – und in diesem Sinne waren alle meine Figuren anfangs sehr hoffnungsvoll und durchaus optimistisch. Mich interessierte jedoch die Diskrepanz zwischen dem, was man erwartet, und dem, was man bekommt, was die wahre Quelle der Unzufriedenheit ist. Diese Kluft zwischen Erwartungen und Wirklichkeit ist der Kern der unruhigen Existenz der Romanfiguren – von der älteren Generation rund um Sophie, Joske und Zippa, die voller Ideologie und Leidenschaft für ihr neues Leben ins Land eingewandert ist, bis hin zur dritten Generation, die sich ganz dem Individualismus und ihrer eigenen Suche nach Liebe und Erfolg verschrieben hat.
Im Hinblick auf den Glauben ist interessant, dass die ältere Generation, die aus religiösen europäisch-jüdischen Elternhäusern stammt, den jüdischen Glauben ablehnt. Sie begründete die „Religion der Arbeit“ und verehrte sie auf religiöse Weise. Diese ältere Generation ist säkular, neigt aber immer noch dazu, sich auf die heiligen Schriften und das Übernatürliche zu berufen, um Antworten zu finden. Für die zweite Generation geht es darum, im Leben voranzukommen, indem sie sich der westlichen Welt öffnet – Anati und Benzi leben in London, wo Anati an ihrem Forschungsprojekt arbeitet und Benzi als Leiter einer Theatergruppe sein Theaterstück schreibt; ihre Vorstellung von Glück ist, in der Welt draußen beruflich erfolgreich zu sein. Für die jüngere Generation, die in eine arbeitende Gemeinschaft und ein arbeitendes Land hineingeboren wurde, stellt sich diese Frage nicht. Sie ist damit beschäftigt, ihr Glück zu suchen und ihre eigenen persönlichen Ziele zu erreichen, ohne unbedingt an das Gemeinwohl zu denken – kann sie das glücklich machen?
Die Autorin
Saleit Shahaf Poleg, geboren 1977, ist Schriftstellerin, Redakteurin und Universitätsdozentin. Ihre Kindheit verbrachte sie in Be’er Scheva und ihre Jugend in einem Moschaw in der Jesreelebene in Nordisrael. Shahaf Poleg veröffentlichte Kurzgeschichten in israelischen und internationalen Literaturzeitschriften auf Hebräisch und Englisch. Bis es wieder regnet ist ihr erster Roman
Die Übersetzerin
Ruth Achlama, geboren 1945, lebt seit 1974 in Israel und übersetzt seit Anfang der 1980er-Jahre hebräische Literatur, darunter Werke von Amos Oz, Meir Shalev, Yoram Kaniuk und Ayelet Gundar-Goshen. Für ihre Arbeit wurde sie unter anderem mit dem deutsch-israelischen Übersetzerpreis und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.