Preis
24,00 €
Mit HerzSchlagDrama erscheint bei der Büchergilde zum ersten Mal eine exklusive Zusammenstellung von Gedichten der Lyrikerin Safiye Can. Im Interview spricht sie über ihr Schreiben, die Pandemie und ihre Pflicht, als Autorin niemals zu schweigen.
HerzSchlagDrama ist eine exklusive Kompilation deiner Gedichte, entnommen aus dreien deiner bisher erschienenen Lyrikbände. Wie bist du bei der Komposition für diesen Band vorgegangen?
Da ich zur Entstehungsphase auf Lesereise war, trug ich das Manuskript von Hotel zu Hotel, konzipierte in der Bahn und verwarf die Ideen. In den Hotelzimmern legte ich alle Gedichte einer möglichen Reihenfolge nach – Gedicht für Gedicht – im ganzen Zimmer aus. Wichtig war, ein starkes, in sich schlüssiges Konzept mit gutem Lesegefühl für die Leserinnen und Leser auszuarbeiten.
Das Buch startet mit dem ersten Gedicht aus meinem ersten Lyrikband von 2014 und endet mit dem letzten Gedicht aus meinem letzten Lyrikband von 2021. Kapitel eins besteht aus Liebesgedichten und Kapitel zwei aus politischen. Es gibt aber noch ein drittes Kapitel mit einem Abschlussgedicht, das als Geschenk für die Lesenden gedacht ist. Ein Weg, sie mit einem Lächeln aus dem Buch zu entlassen und gleichzeitig zu sagen: Liebesgedichte und politische Gedichte sind hier die tragenden Säulen, aber da gibt es noch mehr.
Bleiben wir doch direkt bei deinen Liebesgedichten. Es ist bereichernd, zu lesen, dass sie von ganz unterschiedlichen Lebensrealitäten berichten. Ist dir die Abbildung von Diversität ein Anliegen?
Unbedingt sogar. Die Liebe hat viele Facetten und jede hat unterschiedliche Nuancen, sie schwächt den Stärksten und stärkt den Schwächsten. Sie kann tragisch und lustig sein. Sie haucht uns Leben ein und kann uns jegliche Energie und Lebenslust rauben. So unterschiedlich fallen auch die Gedichte aus, von destruktiv bis ironisch. Vielfältigkeit ist mir überhaupt ein primäres Anliegen in meinem Schreiben: inhaltlich, stilistisch und visuell.
Auch aktuelle gesellschaftspolitische Ereignisse wie der Anschlag in Hanau 2020 oder der Umgang der Medien und Politik mit sogenannten Einzeltätern finden Einzug in deine Lyrik. Ist das Schreiben eine Möglichkeit für dich, diese Geschehnisse zu ertragen?
Rechtsterrorismus, der Tod von Menschen, der Schmerz Hinterbliebener, Genozide, der aktuelle Krieg – all das bleibt schier unerträglich. Es ist vielmehr der innere Drang und eine Art empfundene Pflicht, als Autorin nicht zu schweigen. Vielleicht ist es auch eine Möglichkeit, mit der Ohnmacht, der man ausgesetzt ist, umzugehen. Gedichte sollten Türen und Fenster öffnen, Wege aufzeigen, erinnern und mahnen können. Sie sollen aber auch sprechen, für all diejenigen, die keine Stimme haben. Ich bin selbst Betroffene, wir allesamt sind Betroffene. Möglicherweise haben politische Texte auch immer mit Liebe zu tun. Mit Liebe zum Menschen.
In „Liebe zur Quarantäne-Zeit“ aber auch „Poesie und Pandemie“ beschäftigen sich die lyrischen Ichs mit der Corona-Zeit. Hat diese dein Schaffen besonders beeinflusst?
Dein Langgedicht „Poesie und Pandemie“ nimmt in HerzSchlagDrama den größten Raum ein. Das lyrische Ich zählt darin auf, was wir aus der Pandemiezeit gelernt haben und mitnehmen. Wieso ist es dir wichtig, diesem Thema so viel Raum zu geben?
Dafür gibt es vielerlei Gründe, aber um einige zu erwähnen: Zum einen ist es eine Zeit-Dokumentation. Sie ist für uns alle relevant, die diese Zeit bewusst oder weniger bewusst erlebt haben, aber auch für interessierte Nachfolgegenerationen, die hoffentlich keiner Pandemie ausgesetzt sein werden.
Ich wollte zum anderen aber auch, dass unsere Verstorbenen der Pandemiezeit sowie ihre Angehörigen nicht in Vergessenheit geraten, und dass alle, die diese Zeit erlebten, in diesem Gedicht eine Würdigung, ein Danke für all die starken Nerven und ihre Leistungen erhalten. Und dann ist da noch der Wunsch, dass meine Leserinnen und Leser lachen. Wir haben Traumata aus dieser Zeit zu verarbeiten, Lachen ist immer ein gutes Mittel.
Dein Gedicht „Integration“ fällt optisch besonders auf, weil es die Form der Konkreten Poesie bedient. In deinem Langgedicht „Poesie und Pandemie“ dagegen webst du collagenartig Fetzen aus Nachrichtenmeldungen hinein. Welchen Stellenwert nimmt das Spielen mit der Form in deinem Schreiben ein?
Das ist mir sehr wichtig. Schreiben bedeutet, mit der Sprache aufs Neueste zu spielen. Die Lyrik bietet mir einen großen Freiraum hierfür. Langgedichte, Zweizeiler, Gedichte im Bereich konkreter und visueller Poesie, Gedichtcollagen – eine breite, leuchtende Farbpalette, die ich den Lesenden aufzeigen und anbieten möchte. Will man die Schönheit einer jedweden Sprache erforschen, muss man sich nur die Lyrik dieser Sprache anschauen.
Zum Abschluss noch die Frage: Wer oder was inspiriert dich beim Schreiben deiner Gedichte?
Was mich berührt, das inspiriert mich.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Safiye.
Die Fragen stellte Juliane Noßack.
Preis
24,00 €
Safiye Can, geboren als Kind tscherkessischer Eltern in Offenbach, studierte Philosophie, Psychoanalyse und Jura in Frankfurt. Sie schreibt Lyrik und Prosa und übersetzt aus dem Türkischen. Can wurde mehrfach ausgezeichnet, darunter mit dem Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis, dem Alfred Müller-Felsenburg-Preis für aufrechte Literatur (beide 2016) und dem Literaturstipendium „Arp im Ohr“ (2021). Sie arbeitet als Gastdozentin an Universitäten und leitet Schreibwerkstätten für Kinder und Jugendliche. Can ist Mitglied im PEN International. Sie lebt in Offenbach.