Die literarische Alleskönnerin


Kristin Rampelt und Marlen Heislitz im Gespräch über Die Ballade

Ein großes Buch für die ganz großen poetischen Erzählungen: Mit Die Ballade feiert die Büchergilde einen der wunderbarsten Texthybride. Kristin Rampelt (Lektorat) und Marlen Heislitz (Redaktion) sprechen darüber, wie gekonnt sich Balladen zwischen Genre- und Zeitgrenzen bewegen. Drama, Emotion, Gefühlsachterbahn – lassen Sie sich mitreißen.

173107_Neubert_Balladenbuch_3D_01.png

MH: Liebe Kristin, in Vorbereitung auf unser Gespräch wollte ich nur kurz einen Blick in das Manuskript von Die Ballade werfen. Plötzlich war ich dann völlig versunken, bin erst einige Zeit später wieder aufgetaucht und dachte: Verdammt, Balladen sind stark!

KR: Das freut mich zu hören. Bei der Arbeit am Buch sprachen wir immer wieder darüber, mit wie viel Emotion und Drama Balladen ihre Geschichten präsentieren. Darin stehen sie eigentlich den heute so beliebten TV-Serien in nichts nach. Wie schön, wenn dieses Gefühl auch dich gepackt hat.

 

Beim Lesen dachte ich darüber nach, dass mir eine Definition von »Ballade« schwerfällt. Sie ist ein Text-Hybrid: ein bisschen Gedicht, irgendwie auch Kurzgeschichte und dabei noch musikalisch … was ist sie nun genau?

Am Anfang des Projekts ging es mir ähnlich. Balladen lagen mir erst mal nicht so nahe, ich musste mein Wissen über den Begriff auffrischen. Da das Buch Die Ballade aber in einem großartigen Team entstand, fiel mir das Einfinden dann leicht.

Corinna Huffman, Programmleiterin der Büchergilde und Ideengeberin des Projekts, und der Schriftsteller Eckhart Nickel konnten ihre Belesenheit und Erfahrung mit dem Thema reichhaltig einbringen. Nickel war nicht nur sehr eng in den Auswahlprozess der Texte eingebunden, er ist auch der Verfasser des frischen Vorworts, das perfekt den Ton setzt fürs Eintauchen in das Buch.

Beim Zusammenstellen und Sortieren des Materials galt uns dann ein Grundsatz als Prinzip: In Balladen werden Geschichten und (unerhörte) Abenteuer erzählt, man wird mitgenommen auf kleine Erzählreisen. Es zeigte sich aber schnell, dass die Trennschärfe, wie bei vielem Geschriebenen, eher gering ist. An diesen Stellen hat es dann Spaß gemacht, die vorher angelesene Definition und die gemeinsamen Überlegungen wieder aufzubrechen und neu über die Ballade nachzudenken.

image00001.jpeg
Hochwertiges Material

Das klingt, als hättet ihr euch mit diesem Buch von einer klassischen Textsammlung entfernt. Wie seid ihr vorgegangen?

Chronologisch oder alphabetisch sortierte Balladen-Enzyklopädien gibt es einige und sie haben ihre eigene Berechtigung. Wir wollten uns mit Die Ballade bewusst aus dieser Tradition herausbewegen. Die klassischen, leider oft auch immergleichen Beispiele für Balladen assoziieren viele dann doch mit Schulbankdrücken und didaktischer Analysearbeit. Daher setzten wir uns zum Ziel, die Ballade neu aufzurollen und ihr einen frischen Anstrich zu verleihen.

Wir haben dafür eine kleinere, eher unkonventionelle Auswahl unserer liebsten Texte zusammengestellt: Für uns standen von Anfang an das Leseerlebnis und der Genuss der Texte im Vordergrund. Wir möchten unsere Leserinnen und Leser, egal welchen Alters, mit frischem Blick auf diese jahrhundertealte Texttradition schauen lassen und vor allem eines vermitteln: Spaß an der Ballade.

Neubert_Werkstatt_01_neu.jpg
Impressionen aus Franziska Neuberts Werkstatt
Neubert_Werkstatt_03_neu.png

Dieser Ansatz floss auch in Aufbau und Layout des Buchs ein. Erzähl mal was dazu.

Die Balladen haben wir nach inhaltlichen Kategorien sortiert: sagenhaft, romantisch, legendär, folgenschwer, unbezwingbar, schaurig und zu guter Letzt tödlich und verbrecherisch.

Als Einstimmung wird jedes Kapitel durch eine Reihe von Begriffen eingeleitet, die die emotionale Schlagkraft der Texte aufzeigt, ohne inhaltlich zu spoilern. Wir sind mit diesen launigen Listen bewusst von erklärenden Einleitungstexten abgerückt, um keine Lesarten vorzugeben. Trotzdem habe ich beim Zusammentragen dieser assoziativen Beschreibungen versucht, einen erzählerischen Bogen zu spannen, und fragte mich dann irgendwann: »Schreibe ich hier gerade kleine Mini-Balladen?« (lacht)

Unsere Herstellerin Cosima Schneider brachte diese Texte dann in ein Satzbild, das an ein Gedicht erinnert – absolut passend und ganz ohne dass wir darüber gesprochen hätten.

 

Es scheint, als hätte der besondere Spirit der Balladen alle Beteiligten erfasst. Daher müssen wir an dieser Stelle natürlich zu den Bildern in Die Ballade kommen.

Die Künstlerin Franziska Neubert hat hier wieder einmal Großartiges geleistet. Ihre acht Mehrfarbholzschnitte in knalligen Farben hauen visuell genauso rein wie die Balladen auf textlicher Ebene. Sie vergleicht in ihrem Nachwort das Suchen nach dem richtigen Maß der Verse mit ihrem Vorgehen beim Zusammenbringen der fünf bis sechs Farbplatten. Es ist ein Suchprozess: Annähern und Aufspüren. Neuberts Bilder lassen viel Spielraum für eigene Interpretation, denn sie scheinen selbst Geschichten zu erzählen, funktionieren aber auch als visuelle Fortsetzungen der präsentierten Texte. Absolut beeindruckend. Und so überschreitet unser Buch ganz zeitgemäß multimedial die Form bisher existierender Anthologien.

173107_Neubert_Balladenbuch_IL_04.jpg
Holzschnitt von Franziska Neubert

Apropos Multimedia: Der Autor Eckhart Nickel beschreibt in seinem Vorwort die Ballade als von »sprunghaftem Zauber«, wenn er die etymologische Abstammung des Worts Ballade von »Tanz« erläutert. Wie seid ihr dieser dynamisch-musikalischen Ebene begegnet?

In geselliger Runde mal einen Schiller zu rappen oder Goethes »Erlkönig« übertrieben dramatisch vorzutragen – das hat uns in der Arbeit am Manuskript mächtig Spaß gemacht. Und vielleicht regt unsere Auswahl ja auch die Leser:innen dazu an, mal richtig einen Klassiker zu schmettern.

Die Nähe zur Musik zeigen wir außerdem mit Texten von kontemporären Bands wie Dota Kehr, Wir sind Helden, AnnenMayKantereit und einigen mehr. Bei der Recherche dieser modernen Musik-Balladen stießen wir aber auch auf sehr viele Songtexte, die reine Romanzen oder Ich-Erzählungen sind. Da haben wir uns manchmal gefragt: Ist das vielleicht ein Symptom unserer individualistisch geprägten Gegenwart?

Die Ballade kann alles. Formal noch ganz lyrisch, nimmt sie schon beim Inhalt enorm Fahrt auf: episch wie ein Roman.

Eckhart Nickel in seinem Vorwort zu Die Ballade

Gelten Balladen denn als Texte, in denen Zeitgeist stark verankert ist? Was macht eine klassische, was eine moderne Ballade aus?

Die Entstehungszeit ist als Kontext sehr interessant; spannender finde ich aber, dass viele der älteren Texte heute noch immer mit einer unglaublichen, zeitgemäßen Strahlkraft wirken. Denn Zentrum der Ballade waren immer schon eindrucksvolle Geschichten, die man sich in geselliger Runde erzählt und so memoriert, tradiert. Daher ging es um ganz basale Sorgen, Wünsche oder Sehnsüchte, die einen Großteil des Menschseins ausmachen, die viele beschäftigen.

Man kann zu diesem Thema aber auch feststellen, dass Balladen im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vager werden, sie exerzieren nicht mehr so unbekümmert die komplette Spannbreite der Emotionen durch, sondern verhandeln sie höchstens ironisch gebrochen. Sicherlich ist die Ballade in dieser Hinsicht also auch Abbild ihrer Zeit.

 

Mich begeisterte die Ballade »Schnee«, Verfasser unbekannt, die sich mit Extraterrestrischem beschäftigt, Hebbels »Heideknabe« hat mir dagegen ganz reale kalte Schauer über den Rücken laufen lassen. Was sind einige deiner Favoriten in Die Ballade?

Ich mag es, wie in Caren Jeß’ Text »Moor« die Ballade ganz nüchtern und unemotional ins 21. Jahrhundert katapultiert wird, ohne mit der tradierten Form ganz zu brechen, und wie sie damit vielmehr ironisch-gebrochen fortgeschrieben wird. Dann ein Text wie »Ach« von Robert Gernhardt, in dem von den letzten Minuten eines Sterbenden im Gespräch mit dem Tod erzählt wird und wie er sich verzweifelt an letzte Reste von Normalität klammert. Und »Der Werwolf« von Christian Morgenstern ist einfach herrlich witzig!

Bei Sarah Kirschs »Legende von Lilja« ist mir dagegen schlicht der Atem weggeblieben: die Brüche und Lücken in Syntax und Erzählung, einprägsame Bilder, die dazwischen aufblitzen und den Schrecken eines KZ-Lagers stakkatohaft vermitteln – danach brauchte ich erst einmal eine Lesepause.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Kristin!

Banner_Balladen_gelb__IG1_1080x1080.png

Die Kunst des Drucks


Die Illustratorin

Neubert_Franziska_Illustratorin_(c)Dirk Brzoska_3.jpg
© Dirk Brzoska

Franziska Neubert wurde 1977 in Leipzig geboren. Sie studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig u. a. bei Volker Pfüller und nahm dort auch das Meisterschülerstudium auf. Seit 2008 lehrt sie in Dresden. Ihre Werke wurden vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hans-Meid-Förderpreis für Illustration (2009).


KUNSTAlt Text
Original-Holzschnitte

Limitierte Auflage: Original-Holzschnitte von Illustratorin Franziska Neubert