Im Licht der fremden Sonne
Nach ihrer Flucht aus Deutschland 1933 gelangt Gabriele Tergit über Tschechien nach Palästina. In literarischen Porträts und eindrucksvollen Reisenotizen erkundet sie das vielfältige Leben in Jerusalem, Haifa und Tel Aviv – ein Land im Aufbruch, lange vor der Staatsgründung Israels. Mit feinem Gespür beschreibt sie Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen.

Gabriele Tergit, Pseudonym von Elise Reifenberg, war seit den 1920er-Jahren eine bekannte Feuilletonistin und Gerichtsreporterin in Berlin, bis sie 1932 ihren ersten Roman Käsebier erobert den Kurfürstendamm veröffentlichte. Während sie an ihrem zweiten Roman Die Effingers arbeitete, versuchte die SA Anfang März 1933, sie zu verhaften. Tergit musste Hals über Kopf Berlin verlassen und floh ins Exil nach Palästina, wo ihr Mann bereits lebte.
Erstmals um 19 bislang unveröffentlichte Texte aus dem Nachlass ergänzt, eröffnet Tergits Im Schnellzug nach Haifa einen einzigartigen Blick auf das Spannungsfeld zwischen Zionist:innen und Exilant:innen im Palästina der 1930er-Jahre. Gabriele Tergit zeichnet ein vielschichtiges Bild ihrer fünf Jahre im palästinensischen Exil, ehe sie nach London zieht, wo sie bis zu ihrem Tod 1982 leben sollte. Im Nachwort von Herausgeberin Nicole Henneberg wird dieser historische Hintergrund lebendig erklärt.
Wie in der ganzen Welt nimmt das Eigenleben, das Bodenständige ab und das Internationale zu, aber zugleich wächst der Nationalismus, das Trennende wird betont und das Zusammenwachsen der Kulturen verschwiegen.
Entgegen ihren eigenen Erwartungen war Tergit sofort von dem fremden Land fasziniert, das sie zugleich forderte und inspirierte. Neugierig und unermüdlich reiste sie mit Bus und Sammeltaxi durch Palästina und hielt das Erlebte fest. Vielen Jüdinnen und Juden aus Deutschland, in Palästina als „Jeckes“ bezeichnet, fiel die Anpassung an den mediterranen Lebensstil und das heiße Klima nicht leicht. Für viele war die Übersiedlung mit einem Statusverlust verbunden. Durch ihre steifen Umgangsformen, ihren bürgerlichen Kleidungsstil, ihre übertriebene Höflichkeit und ihr Festhalten an der deutschen Sprache erregten sie Aufmerksamkeit.
Schon bei der Überfahrt nach Tel Aviv wurde Gabriele Tergit klar: „Die Freiheit ist untergegangen und der Humanismus, und sie [die Mitreisenden] bemerkten es nicht.“ Im Kapitel „Landschaft“ beschreibt sie sowohl das Land als auch deren Bewohner:innen vom arabischen Bauern über den jüdischen Arbeiter bis hin zu alten arabischen Dörfern und jüdischen Gemeinschaftssiedlungen.

„Noch gibt es nur ein gemeinsames Kulturelement in Palästina, das ist das Hebräische. Sonst ist noch nichts geklärt, noch alles im Fluss“ Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Erwartungen und Ideale zwischen Exilant:innen und Zionist:innen führte zu Konflikten. Tergit selbst hat übrigens nie Hebräisch gelernt, da ihre Prioritäten auf dem Überleben, der Integration im Exil und dem Schreiben (auf Deutsch) lagen.
Als Chronistin dieser Zeit bewahrt Gabriele Tergit ihren klaren beobachtenden Blick, ihre Offenheit und Neugierde gegenüber allen und allem. Besonders die Jugend in Palästina mit ihrer sprühenden Lebensfreude und der ungebrochenen Hoffnung auf eine Heimat ist eine positive Erfahrung in dieser doch sehr belastenden Zeit.
Heute gilt die Schriftstellerin als eine der größten Wiederentdeckungen der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts – eine bedeutende Autorin der Zwischen- und Nachkriegszeit. Mit dem Reportageband Im Schnellzug nach Haifa wird ihr Werk um eine wichtige Zeit in ihrem Leben und Schreiben erweitert. Zudem dient dieser historische Blick dem besseren Verständnis des aktuellen Nahostkonflikts.
Stephanie Krawehl war Inhaberin der Buchhandlung Lesesaal und plant auf Instagram eine Neuauflage von „Vorgelesen bekommen“, einer Vorstellungsreihe von Novitäten.
Die Autorin
Gabriele Tergit (1894–1982), geboren in Berlin, schrieb u. a. Romane und Feuilletons. Die jüdische Schriftstellerin emigrierte 1933 nach Palästina, 1938 zog sie nach London. Ihr literarisches Werk wurde in Deutschland erst spät wiederentdeckt. Heute gilt sie als bedeutende Autorin der Zwischen- und Nachkriegszeit