Im Zug der Worte


In seinem Roman In einem Zug schickt der beliebte österreichische Autor Daniel Glattauer einen blockierten Schriftsteller und eine psychologisch gewandte Therapeutin auf die Reise von Wien nach München – und verwandelt ein einfaches Bahnabteil für vier Stunden in eine Bühne für ein dialogisches Kammerspiel über die Liebe, feinfühlig und pointiert.

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Eduard Brünhofer, einst gefeierter Autor erfolgreicher Liebesromane und Protagonist in Daniel Glattauers neuestem Streich In einem Zug, ist verstummt. Eine Schreibblockade lähmt ihn, die Deadline rückt näher – vier Wochen und drei Tage bleiben ihm, um zu liefern, denn der Vorschuss wurde schon gezahlt. Doch auf dem Weg von Wien zu seinem Verleger in München lernt er Catrin Meyr kennen, eine junge Therapeutin. Behutsam und zugleich bestimmt versucht sie, Eduard in ein Gespräch über die Liebe, Ehe und über Glück zu verwickeln.

Zunächst sträubt sich Eduard gegen das, was ihm wie eine ungewollte, aufdringliche Nähe erscheint. Er ist skeptisch, will sich nicht auf das Gespräch einlassen, das Catrin mit so viel Beharrlichkeit anstößt. Doch je länger sie ihm gegenübersitzt, desto mehr wird er von ihrem Blick gefangen – einem Blick, der ihn kontinuierlich in seinen Bann zieht. Catrins Augen, so scheint es, machen einen Raum auf, in dem Worte nicht mehr ausreichen, um das, was zwischen ihnen passiert, zu fassen. Es ist dieser Blick, der die Distanz zwischen ihnen verkleinert und der Eduard dazu bringt, sich von seinem anfänglichen Widerstand zu verabschieden und sich nach und nach zu öffnen.

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Daniel Glattauer, seit dem Bestseller Gut gegen Nordwind (2006) bekannt für seine feinen Zeichnungen zwischenmenschlicher Beziehungen, versteht es auch in seinem neuesten – laut eigener Aussage übrigens auch am stärksten autobiografisch geprägten – Roman In einem Zug meisterhaft, dieses Aufeinandertreffen zu inszenieren. Mit einer Leichtigkeit, die an ein präzise choreografiertes Schauspiel erinnert, lässt er die Figuren miteinander tanzen, als würden ihre Dialoge einem unsichtbaren Rhythmus folgen. Ihre Gespräche sind mehr als bloße Worte – sie sind ein Tanz aus Gedanken und Beobachtungen. Glattauer verwebt psychologische Feinheiten und eine subtile Ironie, die in den Zwischentönen der Dialoge immer wieder aufblitzen. Es sind genau diese Zwischentöne, die das Gespräch zwischen Eduard und Catrin so intensiv und zugleich so unsentimental machen.

‚Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?‘, fragt sie. ‚Ihre Frage ist klüger als jede Antwort darauf‘, erwidere ich. ‚Danke. Probieren Sie es trotzdem.‘

Aus: In einem Zug

In der beengten Atmosphäre des Zugabteils entwickelt sich eine unerwartet intime Reflexion über die facettenreiche Natur von Liebe, Begehren, Erinnerung und die Kunst des Schreibens. Mit der Präzision einer Therapeutin sondiert Catrin das Terrain von Eduards inneren Konflikten und Zweifeln. Trotz aller Ernsthaftigkeit durchziehen Eduards ironische Innenkommentare das Geschehen mit feinem Witz. Glattauer fügt sie mit leichter Hand ein und verleiht dem Dialog damit eine zweite Ebene – humorvoll, selbstreflexiv und psychologisch nuanciert.

In diesem kleinen Raum entfaltet sich ein faszinierendes, vielschichtiges Spiel, das nicht nur die Figuren, sondern auch die Lesenden in seinen Bann zieht. In einem Zug erinnert in seiner Konstellation an Glattauers Meisterwerk Gut gegen Nordwind – und muss sich hinter diesem Erfolgsroman nicht verstecken.

 

Stephanie Krawehl war Inhaberin der Buchhandlung Lesesaal und plant auf Instagram eine Neuauflage von Vorgelesen bekommen, einer Vorstellungsreihe von Novitäten.

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Der Autor

Daniel Glattauer, geboren 1960 in Wien, war zwanzig Jahre Journalist beim Standard. Mit Gut gegen Nordwind gelang ihm 2006 der schriftstellerische Durchbruch. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit millionenfach. Er verfasste zahlreiche Theaterstücke, die zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum gehören.


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