Dämonen der Vergangenheit


Illustratorin Ann-Kathrin Peuthen im Büchergilde-Interview

Die Detektivromane des japanischen Autors Seishi Yokomizo liegen endlich in deutscher Übersetzung vor. Wunderbar knifflig, bietet der klassische Krimi Die rätselhaften Honjin-Morde eine spannende Lektüre, zu der Ann-Kathrin Peuthen stimmungsvolle Schwarz-Weiß-Illustrationen anfertigte. Im Interview erzählt sie von ihrer Arbeit an diesem Buch.

175029_Yokomizo_Honjin_3D_01.png

Liebe Frau Peuthen, für Die rätselhaften Honjin-Morde wurden Sie explizit wegen Ihres Zeichenstils von der Büchergilde-Herstellerin Cosima Schneider angefragt. Wie kam der Kontakt zustande?

Ich studiere noch und habe im Laufe dessen auch schon Bücher gemacht – aber keine Veröffentlichungen. Dann nahm ich am Büchergilde Gestalterpreis im Jahr 2022 teil und habe in diesem Wettbewerb eine Gestaltung für Boris Vians Die Gischt der Tage entworfen. Das war das erste Mal, dass ich konzeptionell für ein Buch eine Serie von Illustrationen angefertigt habe. Daraufhin meldete sich Cosima bei mir und stellte mir ihre Idee für Die rätselhaften Honjin-Morde vor. Ich freue mich daher wahnsinnig, endlich die fertige Ausgabe in den Händen zu halten.

 

Der Whodunit-Krimi erfreut sich noch großer Beliebtheit und taucht, mittlerweile modernisiert, in verschiedenen Medien auf. Die rätselhaften Honjin-Morde des japanischen Autors Seishi Yokomizo ist ein sehr klassischer Vertreter des Genres. Wie war es für Sie, einen solchen Krimi zu illustrieren?

Kriminalgeschichten mag ich gerne, und das Buch gefiel mir mit seinem besonderen Setting im ländlichen Japan auch sehr. Die Honjin-Morde sind darüber hinaus ein Locked-Room-Mystery, also eine besondere Spielart des Whodunit. Diese Art von Krimis zeichnen sich durch bestimmte Charakteristika aus: ein begrenztes Setting, eine feste Personenanzahl und die quasi referierte Auflösung vor Publikum am Ende des Buches.

Durch meine Illustrationen konnte ich den festen Rahmen, der durch diesen Aufbau entstehen kann, aufweichen und der Geschichte weitere Ebenen hinzufügen. Das habe ich genutzt und mir erlaubt, einen fantastischen Blick auf das Ganze zu werfen und die Ereignisse der Erzählung mit Symboliken aus der japanischen Mythologie zu verbinden.

175029_Yokomizo_Honjin_BA_03.jpg

Ihre Aufzeichnungen und Skizzen für dieses Projekt sind beeindruckend – Sie haben detailliert zu den spezifischen japanischen Begriffen und Szenerien recherchiert, die im Buch vorkommen. Man kann behaupten, dass Sie selbst zur Detektivin geworden sind. Wie sind Sie vorgegangen?

Erst einmal habe ich das Buch natürlich gelesen und dann noch einmal als Hörbuch gehört. Währenddessen habe ich eine lange Liste heruntergeschrieben mit allen Punkten, die wichtig sein könnten, welches die Szenen sind,
die illustriert werden müssen. Wo lege ich einen Fokus auf Natur, wann spielt Kleidung eine größere Rolle? Aus all diesen Informationen habe ich ein großes Moodboard erstellt, das mir als Inspiration diente sowie als Grundlage,
sodass ich nicht ständig im Originaltext nachschauen musste.

Die Analyse war der spannendste, aber auch härteste Part meiner Arbeit: Fremdwörter nachschlagen, den Kontext der 1930er-Jahre im ländlichen Japan recherchieren ... Der »Uchikake« der Braut zum Beispiel – was ist das, wie sieht so was aus? (Anm. d. Red.: ein Teil des traditionellen Hochzeits-Kimonos.) Mein Anspruch war, so genau wie möglich zu sein, um alles realistisch abzubilden.

Freunde meiner Familie leben in Tokyo und unterstützten mich bei den japanischen Texten im Buch, ein Muttersprachler hat diese geprüft. Das war mir sehr wichtig, keine Fehler in den Schriftzeichen und Übersetzungen zu haben.

175029_Yokomizo_Honjin_BA_08.jpg

Dem Buch hängt ein Glossar der Übersetzerin Ursula Gräfe an, dennoch verstärkt die bildliche Ebene das Verständnis, bringt die Kultur näher und macht sie greifbarer. Sie verbinden in Ihren Bildern den Mordfall im Hause Honjin mit der japanischen Geisterwelt. Was hat Sie dazu bewegt?

Ich habe vor unserem Gespräch mein Skizzenbuch geholt und geschaut, was meine erste Notiz zu dem Buch war. Es war die Frage, für was die im Buch erwähnten Spinnenlilien in der japanischen Kultur stehen (Anm. d. Red.: die Blume steht für Tod, Traurigkeit oder Abschied). Denn es ist so, dass die japanischen Mythen mich faszinieren, die Symboliken, Geisterfiguren oder Wesen und ihre Bedeutungen.

Für mich war das direkt anschlussfähig und eine Möglichkeit, Yokomizos Geschichte eine emotionale Ebene beizusteuern, die auf textlicher Ebene vielleicht nicht so stark ausgeprägt ist. Ein Oni zum Beispiel ist ein japanischer Dämon, er verkörpert das Böse – bei einem Mordfall lag nahe, sich auf diese starke Symbolik zu beziehen. So taucht diese Figur in meinen Zeichnungen auf. Ich denke auch, dass die Illustrationen bei einem zweiten Lesen des Romans noch einmal mehr preisgeben, als wenn man die Geschichte noch nicht kennt.

 

Yokomizo verortet die Kriminalgeschichte im Jahr 1937, ein kritischer Zeitpunkt in der japanischen Geschichte. Und auch eine Periode, in der die Gesellschaft noch zwischen feudalistischen Strukturen und Modernisierung stand. Wo trafen Sie beim Illustrieren auf Marker dieser Zeit?

Ich stand natürlich direkt vor der Frage, wie die Menschen in den 1930er-Jahren in Japan aussahen, und habe sehr viel Zeit investiert, um das herauszufinden und abzubilden. Ich nahm mir einige der Verfilmungen zu Hilfe, die es zu diesem Buch gibt. Die Recherche musste ich teils auf Japanisch durchführen, dessen ich ja nicht mächtig bin, das war wirklich abenteuerlich. Doch meine Vermutung, dass es Unterschiede zwischen den Kleidungsstilen der Stadt- und der Landbevölkerung geben muss, wurde durch die Suche bestätigt.

Die reiche Familie Honjin, noch stark in traditionellen Mustern verortet, trägt Kimonos mit Hinweisen auf das Familienwappen. Und die Polizeibeamten, die den Fall untersuchen, haben tatsächlich als »westlich« konnotierte Uniformen getragen. Wenn die Handlung in Tokyo gespielt hätte, hätte das Ganze wohl anders ausgesehen.

175029_Yokomizo_Honjin_BA_07.jpg

Wie entwickelten Sie Ihren prägnanten Schwarz-Weiß-Stil?

Ich bin sehr stark von klassischen Künstlern fasziniert. Von pompösen Gemälden, Caravaggio zum Beispiel, und von dramatischen Szenarien, in denen viel passiert und Emotionen drinstecken.

Schon während des Gestalterpreises faszinierten mich Holzschnitte und ich dachte darüber nach, wie ich diese Technik digital umsetzen könnte. So begann ich eine Methodik zu entwickeln, die dem Look der Drucktechnik nahekommt. Hierfür lege ich schwarze und weiße Striche auf dem Zeichen-Tablet so an, dass die Scharfkantigkeit, aber auch Unregelmäßigkeit im Strich von Holzschnitten simuliert wird.

Für einen japanischen Krimi passt diese Optik wirklich ideal, und ich konnte die düstere Atmosphäre und das Mysterium mit dieser Technik wunderbar einfangen. Außerdem bot sie sich an, um auf doppelter Ebene den Fokus auf den »Locked Room« zu legen: zum einen, wie »verschachtelt« Yokomizo diese Story textlich angelegt hat, und zum anderen im perspektivischen Fokus auf den Raum, also den Tatort.

 

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Bei der Arbeit an diesem Buch stellte ich fest, dass tiefgehende Recherchen mein Fall sind; sich stundenlang in eine Materie zu vertiefen macht mir sehr Spaß, vor allem, wenn es dann die Grundlage für meine Illustrationen bildet. Die rätselhaften Honjin-Morde zu illustrieren war sehr anregend für mich, auch für die Zeit nach meinem Studienabschluss im kommenden Jahr.

 

Danke für das Gespräch, Frau Peuthen!

 

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.


Der Autor

Seishi Yokomizo (1902–1981) war einer der berühmtesten und beliebtesten japanischen Autoren von Kriminalromanen. Er wurde in Kobe geboren und las als Junge unzählige Detektivgeschichten, bevor er selbst mit dem Schreiben begann. Allein seine Serie um Kosuke Kindaichi besteht aus 77 Büchern. Die rätselhaften Honjin-Morde ist der erste Band dieser Reihe.


Die Illustratorin

Ann-Kathrin Peuthen, geboren 1998, studierte an der MDH Düsseldorf Mediendesign. Für ihre Bachelorarbeit wurde sie 2023 vom Art Directors Club mit dem Goldenen Nagel ausgezeichnet. Während ihres Masterstudiums an der Peter Behrens School of Art, Hochschule Düsseldorf, entdeckte sie ihre Liebe zur Illustration und nahm am Projekt »Listening to the survivors – Erinnerungen einer Holocaustüberlebenden« – teil.


Die Übersetzerin

Ursula Gräfe hat Japanologie, Anglistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main studiert. Seit 1989 arbeitet sie als Literaturübersetzerin aus dem Japanischen und Englischen und hat neben zahlreichen Werken Haruki Murakamis auch Sayaka Murata und Yukiko Motoya ins Deutsche übertragen.


Willkommen in Japan!