Vom Übersetzen und Überleben


Wie viel Macht hat Sprache? In ihrem fantastischen Dark-Academia-Roman Babel erzählt die US-Amerikanerin Rebecca F. Kuang ein Stück Kolonialgeschichte neu und lässt dabei das Übersetzen zu einem Akt des Widerstands werden.

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Rebecca F. Kuangs Roman Babel beginnt im Jahr 1829: Im chinesischen Kanton (heute bekannt als Guangzhou) wütet die Cholera. Ein namenloser Junge wird zum Waisenkind, doch kurz nachdem seine Mutter stirbt, bietet ihm ein Professor an, ihn mit in seine englische Heimat zu nehmen. Versehen mit einem neuen Namen – Robin Swift –, tritt der Junge die weite Reise an, wird nach seiner Ankunft in einem Herrenhaus in der Nähe von London untergebracht und dort mit Unterrichtsstunden in Altgriechisch und Latein auf seine Zukunft vorbereitet. Denn der Professor hat Großes mit Robin vor: Er soll eines Tages am Königlichen Institut für Übersetzung der Oxford University studieren, das überall als Babel bekannt ist.

Jahre später kommt Robin in Oxford an, taucht unmittelbar in die Welt der Übersetzungskunst ein und realisiert schon bald, dass er sich im Zentrum des Wissens und der Macht befindet, denn das Empire nutzt die Fähigkeiten seiner Übersetzer:innen, um die eigenen imperialen Bestrebungen voranzutreiben. In dem stilechten Turmgebäude von Babel werden magische Silberbarren hergestellt. Wer in seinen Studien der Translationstheorie und Etymologie weit genug vorangeschritten ist, kann durch das Silberwerken die reine Bedeutung eines Wortes manifestieren. Die gebannte Wortmagie verschafft England viele Vorteile in der Alternativwelt von Babel: Das Silber lässt Schiffe schneller segeln, Kutschen sicherer fahren, Fabriken effizienter arbeiten. Für Robin und seine Freund:innen am Institut ist diese Tatsache ein großes Dilemma, verraten sie doch mit jedem neuen Silberbarren ein Stück weit ihre Heimatländer. So begehren sie schließlich gegen die koloniale Herrschaft auf und kämpfen dabei auch um ihr eigenes Leben.

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Babel ist ein Fantasyroman, der mit echter politischer Aussagekraft punktet. Rebecca F. Kuang erzählt Kolonialgeschichte unter dem Brennglas der heutigen Zeit neu und holt mit über 700 Seiten und einer Fülle von klugen Fußnoten zum erzählerischen Schlag gegen den Kolonialismus aus. Mit Verweisen, Zitaten und viel Recherche zeigt die Autorin, die selbst aus Guangzhou stammt und inzwischen an der Yale University promoviert, wie tiefgründig Fantasy sein kann. Kuang konnte bereits vor einigen Jahren mit ihrer Poppy War-Saga große Erfolge feiern, doch Babel übertraf diese noch, schoss weltweit auf die Bestsellerlisten und brachte der Autorin bereits zahlreiche Auszeichnungen ein, darunter den British Book Award. Mit einer Mischung aus kritischer Perspektive und heldenmütigen Hauptfiguren verschiebt Rebecca F. Kuang die Grenzen von Fantasy, lässt Sprache magisch werden und schafft gleichzeitig ein Stück Spannungsliteratur, das man kaum aus der Hand legen kann. Babel ist ein atmosphärisches, ungemein scharfsinnig erzähltes Buch über historisch gewachsene Machtstrukturen, die unbändige Kraft der Sprache und eisernen Zusammenhalt. Und dabei darf natürlich nicht unerwähnt bleiben, wer uns die Tür zu diesem berauschenden Leseerlebnis öffnet: die Übersetzerinnen Alexandra Jordan und Heide Franck.

 

Jasmin Humburg ist Übersetzerin und Literaturvermittlerin. Auf Instagram ist sie unter @leaf.and.literature zu finden.


Auf Augenhöhe mit der Protagonistin

Magische Übersetzungen richtig übersetzen: Rebecca F. Kuangs Titel Babel hat das Übersetzerinnenduo bestehend, aus Alexandra Jordan und Heide Franck vor neue Herausforderungen gestellt – von magischen Wortpaaren bis hin zum Universitätsjargon. Im Interview mit der Büchergilde erzählen sie von ihrer Arbeit am Text.

 

Was waren die Besonderheiten und Herausforderungen bei der Übersetzung von Rebecca F. Kuangs Babel?

AJ: Da waren zum einen die Wortpaare, mit denen im Roman Magie gewirkt wird. Hier standen wir vor der Entscheidung, ob wir sie wie im Original lassen wollen oder ob wir deutsche Äquivalente finden. Außerdem war der Universitätsjargon Oxfords schwierig umzusetzen, da es keine deutschen Entsprechungen gibt.

HF: Dazu kamen historische Fakten und Bezeichnungen, beispielsweise zum Opiumkrieg in China, die wir recherchieren mussten, sowie der schiere Umfang des Buches mit all seinen Fußnoten.

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Wie gelang es Ihnen, sich in die von fantastischen Elementen durchzogene College-Welt und deren sprachliche Eigenheiten einzufühlen?

AJ: Die detaillierte Erzählweise der Autorin und der einprägsame Protagonist haben mir persönlich den Einstieg in die Welt leicht gemacht. Für die Besonderheiten der Colleges war viel Recherche und enge Absprache im Übersetzerinnenteam notwendig.

HF: Zudem haben wir die Kompetenz von Kolleg:innen angezapft – in unserer Branche ist die Solidarität glücklicherweise so groß, dass man über E-Mail-Foren und sonstige Netzwerke tolle Tipps bekommt, wie zum Beispiel den Hinweis auf Peters Sagers Kulturgeschichte Oxford und Cambridge. Das hat auch in der einen oder anderen Frage geholfen.

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Wie beeinflusste die starke Zentrierung der Handlung auf Sprache und Übersetzung Ihre Arbeit?

AJ: Zum einen gab es Passagen, die wegen meines Studienhintergrundes (Sprache, Kultur, Translation und Literaturübersetzen) leicht zu übertragen waren, weil mir die behandelte Materie vertraut war. Dann wieder waren einige Passagen schwer zu übersetzen: Wenn Protagonist:innen genau die Zweifel äußern, die ich selbst aus dem Berufsalltag kenne, entstand sozusagen eine Meta-Ebene, die nicht immer leicht auszuhalten war. Auch nach dem Abschluss von Babel stelle ich fest, dass ich durch den Fokus auf Etymologie auch jetzt noch etymologische Recherchen spannender finde als vorher.

HF: Mir hat es ebenfalls wahnsinnig Spaß gemacht, den inneren Sprachnerd so füttern zu dürfen, und ich habe dabei sehr viel dazugelernt. Vom Voynich-Alphabet hatte ich beispielsweise noch nie gehört. Das kostete natürlich alles viel Zeit, aber ich wollte Kuangs Begeisterung für Buchstaben und Bibliotheken unbedingt auch in meiner Arbeit durchstrahlen lassen.

 

Im Roman erhalten Übersetzungen sowohl magische als auch materialistische Wirkkraft. Was denken Sie über diese Idee?

HF: Für uns Berufsübersetzer:innen hat ja jede Übersetzung eine materielle Seite – Arbeitszeit und Honorare stehen oft in krassem Missverhältnis. An Fantastik mag ich aber genau das: Magische Vorgänge können uns (auf sehr ästhetische Art) viel über Abhängigkeiten im realen Leben verraten. Mich hat beim Übersetzen das Silberwerk oft an den aktuellen KI-Hype erinnert, der ebenfalls Gefahr läuft, den ökologischen und sozialen Haken an der Sache zu ignorieren.

AJ: Neben den Punkten, die Heide angesprochen hat, glaube ich, dass eine Übersetzung vor allem durch die Rezipient:innen ihre Wirkkraft entfaltet – die dann initial hoffentlich magisch ist und später durch Inspiration Eingang in eigene Projekte findet.

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Der Vorgang des Übersetzens wird in Babel zu einem politischen Element. Welche Meinung haben Sie dazu?

HF: Meiner Meinung nach findet alles, was wir im Leben tun, auch auf einer politischen Ebene statt. Selbst in vermeintlich unpolitischen Übersetzungen positioniere ich die Erzählstimme oder auch die Figuren beispielsweise durch ihre Wortwahl hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildungsprivilegien etc. Diesen Mechanismus legt Kuang in Babel offen – ein wichtiger Beitrag zur Debatte über die politische Macht von Sprache, wie ich finde.

AJ: Das passiert oft auch ganz unbewusst, sodass gerade beim Arbeiten an Babel konsequentes Hinterfragen der eigenen Entscheidungen nötig war – das war anstrengend, hat mir aber auch noch mal die Augen geöffnet und mich noch mehr für Sprache und die politische Macht, die damit ausgeübt wird, sensibilisiert.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.

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Die Autorin

Rebecca F. Kuang, geboren 1996 in Guangzhou, China, ist Marshall-Stipendiatin, Übersetzerin und hat einen Philologie-Master in Chinastudien der Universität Cambridge und einen Soziologie-Master in zeitgenössischen Chinastudien der Universität Oxford. Sie war u. a. für den World Fantasy Award nominiert. Sie promoviert in Yale in ostasiatischen Sprachen und Literatur.


Die Übersetzerinnen

Heide Franck studierte Europastudien und Angewandte Literaturwissenschaft in Eichstätt und Berlin. Zunächst war sie als freiberufliche Korrektorin tätig, inzwischen überträgt sie englische und schwedische Texte ins Deutsche. Sie lebt in Berlin.

Alexandra Jordan, geboren 1992, lebt in Münster und übersetzt Literatur und Videospiele.