Wettstreiten für ein anderes Denken


In seinem Buch Das Café der trunkenen Philosophen schildert Wolfgang Martynkewicz das faszinierende Zusammentreffen einer Gruppe um Adorno und Arendt in Frankfurt, die um das Jahr 1930 damit beginnen, tradiertes Denken zu erneuern.

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Ende der 1920er-Jahre rauscht in Frankfurt am Main ein rebellischer Geist durch die heiligen Hallen der Philosophie. Unerhörte Ideen elektrisieren die intellektuelle Welt und verbreiten sich in »tout Frankfurt«, auf Maskenbällen, in Salons und Kaffeehäusern. Alle konkurrieren darum, wer den Schlüssel zur sozialen Revolution liefern und so am neu gegründeten Institut für Sozialforschung Beachtung finden kann. Denn in der Mainmetropole erblüht gerade eine neue Leitwissenschaft – die Soziologie.

Für die Akteure dieser Geschichte, für Paul Tillich, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Karl Mannheim, Norbert Elias und Hannah Arendt, war es eine Zeit des Aufbruchs, des Neuanfangs. Sie glaubten, dass die Zeit reif war, reif für ein anderes Denken.

Aus: Das Café der trunkenen Philosophen

Mit dem Café der trunkenen Philosophen legt der profilierte Literaturwissenschaftler und Autor Wolfgang Martynkewicz ein abwechslungsreiches und inhaltlich profund recherchiertes Buch vor. Er taucht in diesen lustvollen Wettstreit um die Deutungshoheit der frisch erkorenen Wissenschaft ein. Wie in einem Gespräch steuert er geschickt die Ausführungen der führenden Köpfe zu- oder gegeneinander. Dabei stellt er Arendt, Adorno und Co., wie der Untertitel lautet, der Reihe nach vor. Den idealen Einstieg für die Frage, wie diese schillernden Persönlichkeiten unser Denken revolutionierten, findet der Autor im bis heute existierenden Café Laumer. Dort, in der Nähe der Universität, versammelte sich in zwangloser Atmosphäre eine gemischte akademische Gesellschaft und füllte ihre Theorien mit Sinnlichkeit und Leben.

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Als Ausgangspunkt für sein Buch setzt Martynkewicz die Endzeitstimmung in der Weimarer Republik. Ihr stellt er mit den Intellektuellen, die sich in Frankfurt zusammenfanden, eine lebendige, diskutierfreudige Bewegung entgegen: »Sie glaubten an die Zukunft«, denn »niemand ahnte«, dass die meisten Akteure kurz darauf »fluchtartig das Land verlassen mussten«. Sie fühlten sich noch 1932 in einer Periode des Aufbruchs und ereiferten sich mit einer »ureigenen Lust am Unterschied«, an der Umgestaltung gesellschaftlichen Lebens. Allen voran platziert Martynkewicz dabei den Theologen und Philosophen Paul Tillich, der mit sprühendem Optimismus allen gegenüber offen und zugewandt ist. Konträr zu Tillich agiert Adorno und fällt angriffslustig über jeden her, der ihm die Gunst Horkheimers, des unangefochtenen Lenkers des neuen Instituts, streitig machen könnte. Konsequent an der Wirkung kollektiven Denkens interessiert ist Karl Mannheim, der erste Soziologe mit Lehrstuhl und Pilot in Sachen Wirklichkeit, während Hannah Arendtaus dieser Orientierung eine Studie lanciert, in der sie sich mit ihrer jüdischen Identität und der daraus resultierenden Fremdheit in der Gesellschaft auseinandersetzt. Bei allen Unterschieden in den soziologisch nuancierten Perspektiven ist eines erstaunlich: Mit Ausnahme Tillichs hatten alle diese Akteure jüdische Wurzeln.

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Umso irritierender wird durch die Lektüre die Erkenntnis, wie unkritisch sich diese an der Wirklichkeit Interessierten gegenüber dem Nationalsozialismus verhielten, gar versuchten, ihn in ihre Kapitalismuskritik zu integrieren. Der Nationalsozialismus, so Martynkewicz, wurde in der Frankfurter Schule noch im Exil »als ein autoritäres Modell diskutiert, mit dem Hitler die Krise des Kapitalismus durch staatliche Regulation in den Griff bekommen wollte«. Erst in den 1940er-Jahren klärte sich der Blick mit Bezug auf den verheerenden Antisemitismus und wurde dann umso gründlicher in die kritische Theoriebildung übergeleitet.

Das Café der trunkenen Philosophen ist ein inhaltlich reiches, glänzend zusammengestelltes und zugleich lebensnahes Panorama der Ideengeschichte. Seine Lektüre verschafft Überblick über die bahnbrechenden geisteswissenschaftlichen Ansätze des 20. Jahrhunderts und regt an, sie für die Gegenwart neu zu denken

 

Ute Süßbrich streift in ihrer Freizeit gern durch Museen, skizziert und notiert ihre Eindrücke in kunstundkaffeeblog.wordpress.com.


Der Autor

Wolfgang Martynkewicz, geboren 1955, studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Soziologie. Er ist freier Autor und Dozent für Literaturwissenschaft. Er hat zahlreiche Beiträge zur Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und zur Geschichte der Psychoanalyse, u. a. über Jane Austen, Edgar Allan Poe, Arno Schmidt und Sabina Spielrein veröffentlicht.