Der lange Weg zum Glück


Philip Waechter im Interview mit der Büchergilde

Mit der Novelle Von Mäusen und Menschen erzählt John Steinbeck von getriebenen Menschen in gnadenlosen Umständen und dem gescheiterten American Dream. Im Gespräch beschreibt der Künstler Philip Waechter seine illustrative Annäherung an den großen Klassiker.

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Lieber Philip – nach Straße der Ölsardinen, das du 2009 für die Büchergilde illustriert hast, erscheint mit Von Mäusen und Menschen wieder ein illustrierter John Steinbeck von dir.

Genau! Fühlt sich fast so an, als wäre das erst letztes Jahr gewesen. (lacht)

 

Hast du einen besonderen Bezug zu Steinbeck?

Nach der Anfrage zu Straße der Ölsardinen habe ich Steinbeck für mich entdeckt, habe einiges von ihm gelesen und war begeistert, beziehungsweise bin begeistert. Seine Reisebeschreibungen mit seinem Hund (Die Reise mit Charley. Auf der Suche nach Amerika, 1962), in denen er quer durch die USA der 1950er-Jahre reist, sind sehr beeindruckend.

Dann kam die Anfrage für Von Mäusen und Menschen. Ich hatte es noch nicht gelesen, kannte nur den Film. Aber ich wusste: Das wollte ich auf jeden Fall machen.

 

John Steinbeck schreibt in seinen Büchern über die Abgehängten, über verschrobene Charaktere, die sich durchschlagen oder in prekären Verhältnissen leben, im schlimmsten Fall herabgewürdigt werden. Im Jahr 2017 hast du Jakob Arjounis Krimi Happy Birthday, Türke! illustriert, der von einem verschrobenen Kommissar im Frankfurter Rotlichtviertel erzählt, und damit ebenfalls eine Story, die an den Rändern der Gesellschaft spielt ...

Beim Zeichnen habe ich gemerkt, dass Straße der Ölsardinen und auch Happy Birthday, Türke eher überzeichnet, teils satirisch sind, auf jeden Fall aber amüsante Momente haben. Und die fehlen bei Von Mäusen und Menschen, finde ich. Das Buch ist sehr ernst und auch härter als die anderen beiden. Man hat das Gefühl, Steinbeck kennt sich in diesem Milieu aus, der kennt diese Typen, die er da beschreibt. Die sind nicht künstlich, sondern so beschrieben, wie er sie vielleicht wirklich in seinem Leben erlebt hat.

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Wie würdest du die Stimmung in Von Mäusen und Menschen beschreiben?

Steinbeck erschafft eine Atmosphäre, die sehr kühl ist, die eine Einsamkeit vermittelt. Eine Einsamkeit der Menschen in dem, was sie tun, wie sie miteinander agieren, in was für Verhältnissen sie leben. Und das macht er für mich einfach sehr zu Herzen gehend. Es ist beeindruckend, wie er das in ganz einfachen, kurzen Sätzen sehr klar beschreibt. Das hat mich schnell gepackt.

Von Mäusen und Menschen hat aber auch immer wieder Momente, in denen eine Wärme zwischen den Personen und so etwas wie Hoffnung spürbar wird. Als Leser denkt man dann, dass ein besseres Leben möglich ist ... bis alles wieder in sich zusammenfällt.

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Ich habe das Buch zu meiner Schulzeit gelesen und hatte es noch als starke Erzählung in Erinnerung. Als ich jetzt noch einmal las, merkte ich, dass es für mich nicht an Intensität verloren hat.

Die emotionalen Höhen und Tiefen, die man beim Lesen mitmacht, sind schon enorm.

Ich habe das Buch für dieses Projekt mehrmals gelesen, einmal, um die Geschichte kennenzulernen, und während des Zeichnens las ich auch immer wieder Textstellen. Und trotz dieser Wiederholungen kamen mir fast wieder die Tränen, auch wenn ich wusste, was passiert. Mich hat es einfach wahnsinnig gekriegt.

Die Verfilmung mit John Malkovich (1992, Regie: Gary Sinise) fand ich nicht schlecht, sie hat bei mir aber nicht dieselbe Wirkung erzeugt wie das Buch. Die Geschichte spielt zu einem Großteil in der Arbeiterbaracke, und diese Szenen im Film anzusehen war ein bisschen zäh für mein Empfinden ...

... und das war übrigens auch beim Zeichnen nicht so einfach für mich: Ich zeichne nicht gerne Innenräume. (lacht) Da war ich sehr dankbar, wenn es mal Momente gab, beim Hufeisenspiel zum Beispiel, in denen man rauskam aus dieser Baracke.

 

Bei all den Umsetzungen, die es von diesem Klassiker gibt, wie hast du dann deinen eigenen Zugang zu Von Mäusen und Menschen gefunden?

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Ich habe versucht, über die Stimmung und Atmosphäre meinen persönlichen Bezug zu finden. Dafür habe ich dann viel mit Farben herumprobiert und hatte großen Spaß dabei, die vielen Figuren, die beschrieben werden, zeichnerisch zu entwerfen und in ihr Umfeld zu setzen.

Tatsächlich ist das ja ein Text, der auch ohne Bilder gut funktioniert. Daher bin ich mit dem Ziel herangegangen, diese besondere Atmosphäre aufzugreifen und sie zeichnerisch zu unterstreichen.

 

Mit welchen Materialien hast du gearbeitet?

Wenn ich etwas zeichne oder ein neues Buch mache, stellt sich natürlich immer die Frage, wie setze ich das um, welche Materialien benutze ich? Gezeichnet habe ich hier mit einem Tuschepinselstift. Der funktioniert wie ein Füller mit einer Tintenpatrone, aber verfügt eben über eine Pinselspitze. Die Zeichnungen habe ich dann am Computer weiterbearbeitet, eingefärbt und so weiter.

Ich zeichne nicht oft mit diesem Pinselstift, finde das aber sehr spannend, weil es immer wieder Überraschungen mit sich bringt. Dieser Stift ist für mich weniger kontrollierbar als zum Beispiel ein dünner Fineliner. Der Pinsel macht Dinge, die ich nicht unbedingt beabsichtige, und dann wird es oft auch mal nicht so, wie ich es will ... aber manchmal passiert es, dass ich denke, „Wow, jetzt ist mir aber was gelungen!“.

 

Eine Art „glückliche Unfälle“?

Das ist vielleicht eine ganz gute Beschreibung. (lacht)

Ich finde, dass dieser Pinselstrich, der auch sehr klar und sehr eindeutig ist, zu der Art und Weise passt, wie Steinbeck schreibt. Der Strich, wenn er dann gezeichnet ist, der steht dann einfach da, als ein klares Zeichen.

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Magst du auch noch etwas über das Farbkonzept erzählen?

Für mich war klar, dass es kein buntes Buch wird, sondern dass es relativ spärlich in der Farbigkeit werden soll. Ich hatte einige Farben und Bilder im Kopf, Brauntöne, Ocker, Sonne über Kalifornien, weites Land. Trotzdem herrscht eine kühle Atmosphäre, daher habe ich ein Blau dagegengesetzt und einiges ausprobiert, bis zu einem Punkt, an dem ich dachte, dass es der Geschichte und Stimmung am zuträglichsten ist.

 

Vor allem kennt man dich von deinen vielen Kinderbüchern. Was reizt dich am „Erwachsenenroman“?

Ich mache beides sehr gerne, aber das ist für mich schon mal eine willkommene Abwechslung. Durch andere Schreibstile und andere Umfelder, in denen die Bücher spielen, schöpfe ich gestalterisch noch einmal andere Möglichkeiten aus.

Wenn ich meine eigenen Texte illustriere, fühle ich auch eine andere Verantwortung als bei einem Buch von John Steinbeck, da möchte ich unbedingt Text und Werk des Schreibenden gerecht werden.

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Die Zusammenarbeit mit der Büchergilde an diesen Projekten macht auf jeden Fall immer viel Spaß. Schon bei den Ölsardinen und Arjouni war es so, dass zu Beginn erst mal ganz viel in Bezug auf Gestaltung und Ausstattung möglich ist. Einfach machen, probieren und alles irgendwie denkbar finden. Was davon letztlich umgesetzt wird, ist natürlich noch mal was anderes.

Bei Von Mäusen und Menschen diskutierten wir zum Beispiel die Möglichkeit von „wandernden Seitenzahlen“, die das unstete Leben von Lenny und George, ihr Getriebensein, symbolisieren sollten – was schließlich beschlossen und gedruckt wurde. Es ist schön, wenn so eine Besonderheit buchgestalterisch umgesetzt werden kann und im Zusammenspiel mit Text und Bildern ein rundes Gesamtbild ergibt.

 

Danke für das Gespräch!

 

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.


Der Autor

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John Steinbeck (1902–1968) war ein amerikanischer Erzähler deutsch-irischer Abstammung und wuchs in Kalifornien auf. Er studierte Naturwissenschaften an der Stanford University, war Gelegenheitsarbeiter und danach freier Schriftsteller in Los Gatos bei Monterey. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Kriegsberichterstatter. 1962 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.


Der Illustrator

Philip Waechter, geboren 1968, studierte an der FH Mainz Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Illustration. Er lebt als freier Grafiker in Frankfurt, spielt gern Fußball und hat mit anderen Illustratorinnen und Illustratoren die Labor Ateliergemeinschaft gegründet.


Die Übersetzerin

Mirjam Pressler (1940–2019), geboren in Darmstadt, war freie Kinderbuchautorin und Übersetzerin. Sie studierte an der Akademie für Bildende Künste in Frankfurt und Sprachen in München und lebte für ein Jahr in Israel. Sie übertrug Literatur aus dem Englischen und Hebräischen, u. a. von Amos Oz.


Vorzugsausgabe

Zu jeder Vorzugsausgabe von Von Mäusen und Menschen schenken wir Ihnen einen bedruckten Baumwollbeutel passend zum Buch.

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