Freund der Fische


Siegfried Lenz hinterließ nach seinem Tod zahlreiche Schriftstücke, aus denen 2021 plötzlich die Erzählung Florian, der Karpfen auftauchte. Im Gespräch beschreibt Günter Berg, Vorstand der Siegfried-Lenz-Stiftung, Lenz’ besondere Beziehung zumWasser und allem, was darin lebt.

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Lieber Herr Berg, wie kam es zur Wiederentdeckung von Siegfried Lenz’ Geschichte Florian, der Karpfen?

Nach dem Tod von Siegfried Lenz im Oktober 2014 hat das Deutsche Literaturarchiv in Marbach den Nachlass des Autors übernommen. Was vorher ein Sammelsurium von Notizen und Unterlagen jeder Art war, verwandelte sich in eine Fundgrube: So fand sich bei näherer Durchsicht sein zweiter Roman, Der Überläufer, genauso wie die schöne Erzählung Florian, der Karpfen; beides Glücksfälle.

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An welchem Zeitpunkt in Lenz’ Schaffen lässt sich Florian, der Karpfen verorten?

Lenz hat bereits in den frühen 1950er-Jahren regelmäßig Beiträge für den Funk geschrieben. Florian war ein solches Hörstück, das im Juli 1953 vom Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde. Die Erzählung, die mit diesem Buch nun so schön illustriert vorliegt, wurde vermutlich erst zehn Jahre später geschrieben.

 

Welchen Stellenwert nimmt die fantastische Geschichte in seinem Werk ein?

Vielleicht ist der Karpfen fast so etwas wie ein Symbol für das schriftstellerische Werk von Siegfried Lenz. An dessen Anfang steht unter anderem das Märchen von Florian, dem Karpfen und an dessen Ende das (ebenfalls erst postum erschienene) Wettangeln, in dem die erfolgreiche Anglerin Anja zur Fischkönigin erklärt wird und einen Tanz mit einem geangelten Hecht wagt, dem zweiten Fisch, der im Werk von Siegfried Lenz eine wichtige Rolle spielt.

Lenz war ein Geschichtenerzähler. Seine Sammlung So zärtlich war Suleyken etwa ist eine märchenhafte Reminiszenz an seine masurische Heimat: Alles ist ausgedacht und
gleichzeitig nah an den Menschen, die Lenz für typisch hielt. Seine Leserinnen und Leser sind ihm gefolgt. Und für Florian könnte Theodor Storms Märchen Der kleine Häwelmann eine Anregung gewesen sein. Formen, Sujets Charaktere, auch die von Tieren: Lenz wusste all dies meisterhaft zu nutzen.

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In einigen Bereichen Asiens assoziiert man den Karpfen – bzw. die schillernde Form des Kois – mit Stärke, Ausdauer und Strebsamkeit. In Europa wurde der Karpfen wohl schon zur Römerzeit domestiziert, gilt hierzulande aber oft als fett und modrig, friedfertig und gefräßig. Was verband Sieg-fried Lenz mit diesem Fisch?

Lenz’ Affinität zum Wasser, zu allem, was im und am Wasser lebt, aber auch seine Leidenschaft für das Angeln sind bekannt: „Ich lernte fischen und schwimmen, bevor ich lesen lernte.“

Dabei verband ihn mit dem Karpfen eine ganz besondere Beziehung: Immer wieder hegte und pflegte er Karpfen oder Moderlieschen in Teichen und kleinen Seen; zuletzt in seinem Sommerhaus in Tetenhusen bei Rendsburg. Und als der Karpfen 1999 gar zum Fisch des Jahrhunderts gewählt wurde, widmete ihm Lenz einen sehr ausführlichen Zeitungsartikel, in dem er den „Charakter“ dieses von ihm besonders beachteten Fisches auch aus Sicht despassionierten Anglers würdigte: „Mit seiner oft bewiesenen Schläue, mit seinem Argwohn, mit seiner unvermuteten Kampfnatur stellt dieser ledermäulige Freund für jeden Angler eine Herausforderung dar. Um einen kapitalen Karpfen zu landen, ist so manches nötig, gewiss aber dies: Behutsamkeit, um sein notorisches Misstrauen zu zerstreuen; List, um ihn von seinem Ruheplatz zu locken; die Kunst des Köderns, um ihn zum Biss zu verführen.“

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Florian, der Karpfen ist somit ein kleines Buch über eines von Lenz’ Herzensthemen: die Beziehung zwischen Mensch und Fisch. Protagonist Karlchen dringt in das Ökosystem eines Teichs ein, um unter den Fischen leben zu können, und stiftet dabei einiges an Unruhe. Wie bewerten Sie den moralischen Kern der Geschichte? Welche Schlüsse lassen sich vielleicht auf die heutige Zeit ziehen?

Die märchenhafte Lust von Karlchen, das Geheimnis der Fische zu ergründen und sich eine Schwimmblase zu ergaunern, bringt ihn am Ende in arge Bedrängnis, aus der er (märchenhaft) gerettet wird! Sein Eindringen in die Welt der Tiere war einfach nicht in Ordnung.

Siegfried Lenz problematisiert ökologische Themen (den sauren Regen, Natur- und Tierschutz) seit den 1970er-Jahren immer wieder in seinen Romanen und Erzählungen, etwa in Die Auflehnung oder Die Klangprobe. Es mag auch seiner intensiven Freundschaft mit Loki Schmidt zu verdanken sein, dass diese Themen für Lenz bedeutend waren.

 

Mit Marie Abramowicz konnte die Büchergilde eine Nachwuchskünstlerin für die illustrierte Version von Florian gewinnen. Wie fügen sich für Sie die Illustrationen in die Geschichte ein?

Dem märchenhaft-kindlichen Erzählton steht in Lenz’ Geschichte die (äußerst erwachsene) Würde aller Bewohner dieses Sees gegenüber; und gerade diese Eigenständigkeit der Tiere finde ich außergewöhnlich gut getroffen.

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Herr Berg, zum Ende noch eine in diesem Zusammenhang vielleicht geradezu frevlerische Frage: Essen Sie gerne Karpfen?

Als Speisefisch ist der Karpfen aus der Mode gekommen. Ich selber habe nie einen zubereitet und kann mich nicht wirklich erinnern, dass mir einer auf den Teller gekommen wäre – was ich im Moment auch nicht vermisse.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Die Fragen stellte Marlen Heislitz.


Der Autor

Siegfried Lenz

Siegfried Lenz (1926–2014), geboren im ostpreußischen Lyck, zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern der deutschsprachigen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur. Er ist Autor von Romanen, Erzählungen, Essays und Bühnenwerken und wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und mit dem Lew-Kopelew-Preis für Frieden und Menschenrechte.


Die Illustratorin

Marie Abramowicz

Marie Abramowicz schloss 2023 den Master of Arts Illustration/Kommunikationsdesign ab und arbeitet für verschiedene Verlage und Auftraggeber. Gerne zeichnet sie mit dem Kugelschreiber, wie sie es auch für die Bilder in Florian, der Karpfen getan hat.


Die Idee hinter der Buchgestaltung

Der Satzspiegel ist ungewöhnlich am Fuß der Seite platziert und damit eine Anspielung auf den Grund des Sees. Die Seitenzahlen schwimmen oben – wie aufsteigende Blasen. Beim Lesen stellt sich so vielleicht eine gewisse Atemlosigkeit ein …

Die Illustrationen sind in Bewegung und deshalb an unterschiedlichen Stellen platziert.

Der Einband in jadegrünem Leinen, schwarz bedruckt und silbern geprägt, ist eine Anspielung auf die silberne Schwimmblase, die Karlchen sich so sehr wünscht. Durch das ebenfalls jadegrüne Vorsatzpapier gleitet man beim Aufschlagen des Buches direkt in den See.

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