Charlotte Lacroix schreibt auf dem Blog besonders buch über besonders (schön) gestaltete Bücher. Auf der Frankfurter Buchmesse 2015 traf sie Cosima Schneider (Herstellungsleiterin der Büchergilde) und Cynthia Kittler (Illustratorin) und befragte sie zum Entstehungsprozess der illustrierten Ausgabe von Arthur Schnitzlers Casanovas Heimfahrt.
Wenn sich die Herstellungsleiterin Cosima Schneider mit ihren Kollegen und Kolleginnen trifft, um über zukünftig illustrierte Bücher zu sprechen, ist das der Beginn eines spannenden Prozesses. Ein Text soll ein neues Gewand bekommen und die Aufgabe ist es, dabei den passenden Schneider zu finden. Sobald die ersten Namen, Titel, Autoren fallen, ist sie gedanklich im Pool der Illustratoren unterwegs, mit denen sie arbeitet oder deren Bewerbungen sie in den Händen gehalten hat. Immer begleitet von der Frage: „Wer könnte diesen Text am treffendsten künstlerisch umsetzen?“
Im Fall von Casanovas Heimfahrt fiel ihr die Wahl nicht schwer: „Casanova – das ist so ein fieser Typ, da war schnell klar: wir brauchen jemanden, der sich traut, böse zu zeichnen, der Grenzen überschreitet.“, erinnert sie sich. Und wer könnte sich dafür besser eignen als die junge Illustratorin, die es bei Die Falle von Robert Gernhardt – immerhin einer Weihnachtsgeschichte – gewagt hatte, das Kürzel ACAB in ihre Illustrationen einfließen zu lassen? „Außerdem war mir bei Casanova der weibliche Blick wichtig, es sollte sich also eine Frau mit dem Buch beschäftigen.“ Und Cynthia Kittler? „Die fand’s sofort großartig!“
Für Cynthia Kittler bedeutet es eine Ehre, für die Büchergilde zu arbeiten. Dennoch ist ihre Zusage keine Selbstverständlichkeit. Rund ein halbes Jahr wird sie dieses Projekt beschäftigen, sie muss ihren Terminkalender befragen und zwischen Auftragsarbeiten jonglieren. „Letztendlich aber“, schmunzelt sie, „konnte ich es nicht lassen“.
Ihr Arbeitsprozess beginnt mit der Rezeption des Textes, mehrere Male liest und hört sie ihn. Dabei entstehen automatisch Bilder im Kopf, die von der Illustratorin aber wieder konsequent in Frage gestellt werden. „Ich möchte keinem Buch meinen Illustrationsstil überstülpen.“ Stattdessen soll der Inhalt im Vordergrund stehen, er soll Stil und Technik bestimmen. So erfindet sich Cynthia Kittler für jedes Buchprojekt neu – eine anstrengende, zeitaufwendige Methode.
Ganz abgesehen von der historischen Recherche, die ihr das Projekt abverlangt. Mithilfe eines Pinterest-Ordners recherchiert sie Bildmaterial zu Casanova und eignet sich nebenbei ein umfangreiches historisches Wissen an. „Casanovas Heimfahrt wurde gegen Ende des 1. Weltkriegs geschrieben, mitten im Aufbruch der Avantgarde. Gleichzeitig spielt die Novelle aber im Rokoko, an der Schwelle zu einer neuen Epoche, dem Klassizismus. Sowohl Casanova als auch Schnitzler selbst stehen in einem gewissen Konflikt mit dem Wandel, und das habe ich versucht, einzuarbeiten. Und natürlich musste die Bildsprache auch irgendetwas mit meiner eigenen Epoche zu tun haben.“
Am Arbeitstisch skizziert Cynthia Kittler zunächst. „Das ist der Moment, in dem ich mir selbst die Geschichte erzähle.“ Schon jetzt ist jede Skizze so groß wie das Original. Anschließend werden die Bleistiftzeichnungen über dem Leuchttisch und bei verdunkeltem Raum mit schwarzen Umrandungen versehen. In einem weiteren Arbeitsschritt koloriert sie die Zeichnungen mit Vinylfarbe. „Für Casanovas Heimfahrt habe ich außerdem an einer neuen Illustrationstechnik gearbeitet, das ist natürlich erstmal mit viel Scheitern verbunden.“ Das Endergebnis ist eine Kombination aus analog und digital: Im letzten Arbeitsschritt werden die Bilder am Computer eingescannt und bearbeitet.
Sobald Cynthia Kittler die ersten Arbeitsproben bei der Büchergilde eingereicht hat, findet ein reger Austausch zwischen der Illustratorin und der Herstellerin statt. Nun geht es um das Gesamtkonzept Buch: Alles – Format, Cover, Einband, Schriftart – soll stimmig sein und an die Arbeit der Illustratorin anknüpfen. Für Cynthia Kittler bedeutet es eine extreme Bereicherung, in die Herstellungsfragen miteinbezogen zu werden. „Am Ende habe ich nicht – wie bei manch anderen Kooperationen – das Gefühl, für ein Buch gearbeitet zu haben, sondern dann ist es mein Buch“, stellt sie fest und fügt lachend hinzu: „Auch wenn es natürlich eigentlich von Arthur Schnitzler ist!“
Beim Ideen-Ping-Pong zwischen den beiden Kreativen entsteht ein Gedanke: Ließen sich die gesprenkelten Rahmen, die Cynthia Kittlers Illustrationen zieren und damit den Stil des Rokoko zitieren, nicht auch auf die Buchgestaltung übertragen? Die Idee für den gesprenkelten Buchschnitt ist geboren. „Bei dem Verfahren werden die Buchblöcke im Stapel aufeinandergepresst und in Handarbeit mit einer Spritzpistole besprüht, wie bei der Autolackiererei“, erklärt die Herstellungsleiterin. Die aufwendige Methode hat einen zauberhaften Nebeneffekt: Von den 5.000 gedruckten Exemplaren, wird kein Buch dem anderen exakt gleichen.
„Bücher sind wie Individuen.“ Wenn Cosima Schneider über ihre Buchprojekte spricht, funkeln ihre Augen und sie gerät ins Schwärmen. Und – wie viel Zeit braucht man denn nun für ein gutes Buch? Nach dem Gespräch mit den beiden Frauen ist klar, dass der Zeitfaktor nicht das Entscheidende ist. Was ein gutes Buch vor allen Dingen braucht, ist der stetige kreative Austausch zwischen zwei so begeisterungsfähigen Menschen, denen stimmige Buchgestaltung am Herzen liegt.