UNSERE LIEBLINGSBÜCHER

 

Was wir lesen!

 

Vier KollegInnen aus dem Frankfurter Verlagshaus der Büchergilde haben für Sie ihre persönlichen Lieblingsbücher aus dem aktuellen Quartalsprogramm zusammengestellt.

 

Lassen Sie sich begeistern und inspirieren wir wünschen eine schöne Lektüre!

 

Corinna Santa Cruz: Michèle Ganser (Illust.) & Matthias Wittmann - Oktopia

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für geistige Nahrung sorgen bei
Corinna Santa Cruz
vor allem die aktuellen Neuerscheinungen der Verlage, die sie als Lektorin liest. Ansonsten steht fest: Die Zeiten, in denen im Andalusien-Urlaub
pulpo a la plancha auf dem Teller landete, sind endgültig vorbei.

 

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Eine Reise nach Oktopia:

Mit Michèle Ganser und Matthias Wittmann

 

Wow, was für wunderschöne Illustrationen!, war unser erster Gedanke, als wir Michèle Gansers Oktopus-Zeichnungen gesehen haben. Denen sollte man unbedingt einen ebenso faszinierenden Text zur Seite stellen. Also machten wir uns auf die Suche und stießen auf den „Oktopodologen“ Matthias Wittmann.Was wusste ich bis dahin über Oktopusse? Dass man sie auch Kraken nennt, dass sie acht Tentakel haben, dass sie Marmeladengläser öffnen können – dass sie irgendwie anders sind.

 

Stimmt alles, nur das Letzte nicht unbedingt. Denn Matthias Wittmann dreht den Spieß erst einmal um: Vielleicht kommen ja wir diesen wirbellosen Tieren wie Aliens vor, wie eigenartige Landratten? Vielleicht erscheint es ihnen sonderbar, dass wir uns im Gegensatz zu ihnen die Welt nicht in erster Linie mit dem Tastsinn erschließen?

 

Matthias Wittmann verwebt Fakten und (kulturgeschichtliche) Mythen rund um den Oktopus zu einem klugen und unterhaltsamen Ganzen. Ich habe auf dieser Reise nach „Oktopia“ eine Menge über diesen Meeresbewohner gelernt und auch über unsere manchmal ziemlich schräge Sicht auf ihn. So flexibel und wandelbar wie der Krake ist auch die Gestaltung des Buchs: Michèle Ganser hat mit acht verschiedenen Layouts gespielt, die Zeileneinzüge scheinen sich im Rhythmus des Meeres zu wiegen. Ein Gesamtkunstwerk!

 

 

 

Nicole Duplois: Ferdinand von Schirach - Nachmittage

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nicole Duplois,

versucht, sich noch mehr Zeit fürs Lesen freizuhalten und wirkt in der Herstellungsabteilung an verschiedenen Ecken und Enden mit.

 

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Das Leben auf sich zukommen lassen:

Mit Ferdinand von Schirach – Nachmittage

  

Glück kann man nicht festhalten und die Dinge des Lebens kommen und gehen – davon berichtet Ferdinand von Schirach in seinem Erzählband Nachmittage. Er ist viel herumgekommen, fast auf der ganzen Welt, hat viele Menschen kennengelernt, nicht immer sind es berühmte. Dieser Band versammelt kleine Geschichten über denkwürdige Begebenheiten und zwanglose Gespräche, die den Gegenübern oft aber auch erstaunliche Geschichten entlocken, die sie vielleicht nicht jedem und auch nicht einfach so erzählen würden.

 

Ferdinand von Schirach lässt das Leben in Nachmittage einfach auf sich zukommen: Er beobachtet und hört zu. Manchmal könnte man denken, dass er selbst nicht am Leben teilnimmt, er schreibt bloß darüber. Das stimmt natürlich nicht ganz, aber ein charmantes Gefühl des Alleinseins, der Zurückgezogenheit, aber auch der Rastlosigkeit stellt sich beim Lesen ein. Die Geschichten vermitteln den Lesenden ein wenig, wie es ist zu schreiben, wie es ist als Autor auf Lesereise zu sein.

 

Wer auf der Suche nach tiefgehenden Geschichten ist, die die großen Fragen des Lebens anhand alltäglicher Begebenheiten besprechen (ohne darauf platte Antworten zu geben, sondern einen vielmehr etwas nachdenklich zurücklassen), ist mit der Lektüre dieses Buches gut beraten. Ich war nach dem Lesen zugleich auch mit einer gewissen beruhigenden Leichtigkeit erfüllt, mit einer Neugier aufs Leben und auf das, was noch kommen mag.

 

 

Michael Lübbecke: Ian Kershaw - Der Mensch und die Macht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Michael Lübbeckes
Profession ist das betriebliche Finanzwesen, aber sein Interesse endet nicht bei Buchhaltung und Zahlen, sondern schließt kluge Bücher und anspruchsvolle Literatur mit ein.

 

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An den Hebeln der Macht:

Ian Kershaw über Erbauer und Zerstörer Europas im 20. Jahrhundert

 

Wohl und Wehe Europas im 20. Jahrhundert werden oft direkt mit den zu dieser Zeit herrschenden Machthabern in Verbindung gebracht. Ob Diktatoren, Despoten, Demagogen oder Demokraten: Kershaw bedient sich in Der Mensch und die Macht knapper, aber dichter biographischer Abrisse von 12 politischen Führern jener Zeit, um wichtigen Fragen auf den Grund zu gehen: Welche ihrer Charaktereigenschaften ließen sie zur Macht streben? Welchen Umständen hatten Sie Erlangung, Ausübung und Erhalt ihrer Macht zu verdanken? Was haben sie uns hinterlassen?

 

Kershaw schert Zerstörer wie Hitler und Stalin mit Erbauern, zu denen er u.a. Gorbatschow und Kohl zählt, nicht undifferenziert über einen Kamm. Dennoch gelingt es ihm, ein nahezu allgemeingültiges Muster zu beschreiben, wie Macht von ihren Inhabern wirkungsvoll ge- und missbraucht werden kann. Den Erfolg schreibt er ihren Fähigkeiten zu, außergewöhnliche politische und ökonomische Umstände für ihre Interessen zu nutzen. Diese Analyse ist es wert, sie an den aktuellen Jahren – in denen wir von Zeitenwende und weltumspannenden Transformationsprozessen reden – zu spiegeln. Im Angesicht der vielen Tyrannen und Verschwörer, die zurzeit an den Hebeln der Macht sitzen, bietet Kershaw kluges Anschauungsmaterial, diese zu entlarven – ohne jedoch konkretere Handlungsempfehlungen zu geben, wie man sich ihnen entgegenstellen sollte. Dennoch ist Der Mensch und die Macht für mich ein Erkenntnis bringendes und wichtiges Buch für unsere Gegenwart.

 

 

 

Svenja Schaller: Dörte Hansen - Zur See

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Svenja Schaller,

arbeitet meistens mit Musik auf den Ohren

im Vertrieb und kümmert sich dort vor allem

um alle Belange rund um den Buchhandel.

 

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Von Schwermut und Leichtigkeit:

Dörte Hansens Roman Zur See

 

Wie immer ist es schwer, ein Buch von Dörte Hansen zusammenzufassen, denn sie schafft es, große Geschichten in vermeintlich kleine zu verpacken. In Zur See erzählt sie uns von Familie Sander: Ex-Kapitän Jens, Kapitänsfrau Hanne und ihre drei Kinder Ryckmer, Eske und Henrik. Ryckmer war selbst Kapitän, bis er sich in die Arbeitslosigkeit trank und nun mit 40 Jahren wieder im Haus seiner Eltern lebt; Eske pflegt die (aus)sterbenden Urgesteine der Insel im hiesigen Altersheim und Henrik scheint als einziger einfach nur glücklich zu sein.

 

Dörte Hansen erzählt von Touristenströmen, die die Inselbewohner*innen an den Rand drängen, vom Verschwinden der Inseltraditionen und von Unterbrechungen des Alltags. Sie erzählt vom Festhalten und vom Loslassen, von Nähe und Entfremdung, vom Bleiben und vom Gehen, von Familie, vom Leben und vom Sterben. Ich glaube, Dörte Hansen ist eine der wenigen Autor*innen, die es schafft, Melancholie leichtherzig wirken zu lassen. Die Autorin selbst sagt, "im dritten Buch verschwindet [...] alles" – und so ist Zur See für mich ein Buch des Sich-Sehnens: Beim Lesen wurde ich nostalgisch, obwohl ich diese Zeit selbst nie erlebt habe, hatte Sehnsucht nach einer Insel, die so vielleicht gar nicht mehr existiert, und Heimweh nach einem Zuhause, das nicht meines ist.

 

 

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