Der Sechser im Lotto

Im Zentrum der Universitätsstadt Jena hat Gunther Philler sein Paradies gefunden: Die Jenaer Bücherstube hat sich durch bewegte Zeiten hindurch als Domizil des Buches und der LeserInnen behauptet.

Von Lisa Ernestine Wagner

Jena ist eine gesegnete Stadt: Mit einem Stadtpark und einem Bahnhof südlich der Innenstadt hat es schon zwei Orte, die der Volksmund als „Paradies“ bezeichnet. Wer in und um Jena gerne liest, hat vielleicht noch einen dritten im Kopf: die Jenaer Bücherstube.

Seit ihrer Gründung 1929 ist die gerade einmal 25 Quadratmeter große Buchhandlung Anlaufpunkt für BuchliebhaberInnen. Dieser Ort konnte sich durch jegliche zeitgeschichtlichen Wandlungen behaupten. Und Gunther Philler ist trotz des stolzen Alters der Bücherstube erst ihr dritter Besitzer. „So etwas wie die Bücherstube gibt es nur einmal, das ist ein Sechser im Lotto“, sagt der 68-Jährige. Philler hat das Geschäft 1983 übernommen – in voller Überzeugung, am richtigen Ort angelangt zu sein. 1966 hatte er in der Jenaer Universitätsbuchhandlung seine Ausbildung abgeschlossen. In Leipzig bildete er sich durch ein Fachschulstudium weiter, erhielt Literatur-, Kunst- und Musikunterricht, hätte nun die Stelle eines Abteilungsleiters in den großen staatlichen Buchhandlungen annehmen können. Statt aber nach Jena zurückzukehren, übernahm Gunther Philler in seiner Heimatstadt Eisenberg die Kreisbuchhandlung.

Doch lange hielt es ihn dort nicht: Von 1976 an arbeitete er im Staatlichen Kunsthandel. „Ich bin immer auf Literatur und auf Kunst geschwommen, das hat mich beides sehr interessiert.“ Eine abwechslungsreiche Zeit folgte, in der er im Monatsrhythmus Ausstellungen aus den Bereichen Malerei, Grafik und angewandte Kunst organisierte. So sehr er in der Rolle des Galerieleiters aufging, sagt Gunther Philler heute: „Im Herzen, habe ich dann gemerkt, bin ich Buchhändler geblieben.“ Im Januar 1983 ergab sich die Gelegenheit, und der Familienvater ging „mit wehenden Fahnen“ zurück nach Jena.

Seitdem ist Gunther Philler das Gesicht der Bücherstube. Morgens ist er um sieben im Laden, abends um halb sieben zu Hause. „Das ist mein Kind, mein Geschäft. Weil ich den ganzen Tag hier bin, sieht es auch aus wie ein gemütliches Wohnzimmer.“ Viele KundInnen wollen eben auch, glaubt Philler, den Chef im Laden sehen. Da bleibt Urlaub eine Ausnahme – seit der Wende waren es nie mehr als acht Tage am Stück. Aber das ist für Gunther Philler kein Grund, sich zu beschweren: „Ich weiß, dass ich einginge wie eine Pflanze, die nicht gegossen wird, denn schon nach wenigen Tagen habe ich eine solche Sehnsucht nach der Bücherstube.“

Das Besondere an der Jenaer Bücherstube ist, dass sie in der DDR ein halbstaatliches Unternehmen war und so auch antiquarische Titel in den Regalen standen. „Bei uns gab es das, was sonst nicht mehr zu haben war“, sagt Philler, der das Sortiment seiner Vorgängerin so weiterführte. „Es hat mich sehr stolz gemacht, dass sie dieses Vertrauen in mich gesetzt hat. Für mich war es eine Verpflichtung, diese ehrwürdige Buch -handlung zu übernehmen.“ Als die Wende kam, so Philler, ging alles „irgendwie hopp-hopp“. 1991 wurde er Inhaber der Bücherstube, und ein Jahr später hat er das Haus am Johannisplatz, in dessen Erdgeschoss seine Buchhandlung liegt, von der Stadt erworben. „Das hat sehr geholfen, aber wir haben nur noch gearbeitet. Auf sicheren Füßen stehen wir erst seit 15 Jahren.“ Schließlich sei die Bücherstube kein Selbstläufer, dafür müsse man auch richtig was tun.

Doch wie hält sich die kleine Stube mit dem großen Mitbewerber Thalia direkt vor der Haustür? „Jena ist ein gutes Pflaster und wir haben hier ein interessiertes Publikum, das es schätzt, dass wir es mit Namen ansprechen.“ Gleichzeitig profitiert die Stadt von den immer neuen Jahrgängen der Studierenden. An Universität und Fachhochschule sind über 22000 immatrikuliert und machen damit etwa 20 Prozent der Bevölkerung aus. Viele von ihnen sind Zugezogene. Gunther Philler ist selbst auch Zugereister, Jenaer also und nicht Jenenser. „Aber ich fühle mich hier völlig dazugehörig. Mitunter kommen nach zehn, fünfzehn Jahren Leute rein und sagen: Ach, wir wussten, dass wir dich hier noch treffen!“

Es sind diese Momente, in denen man versteht, wie eng die Jenaer Bücherstube mit dem Buchhändler Philler verbunden ist. Auch das sorgfältig abgestimmte Sortiment ist bis zum schmalsten Kinderbuch sein Werk. „Wir können hier nichts verkaufen nur um des Verkaufens willen. Das würden mir die Leute übel nehmen.“ Vielmehr verfolgt er aufmerksam Kulturbeiträge im Rundfunk, wie die Lesezeit vom MDR, und in den Feuilletons. Vor allem aber ist es die Erfahrung. „Wir halten es hier so: Die Bücher, die man in der Bücherstube findet, die hatte ich in der Hand und habe reingelesen. “Belohnt wird sein Einsatz tagtäglich durch eine treue Kundschaft. 2015 gab es sogar noch etwas mehr: Die Jenaer Bücherstube wurde mit dem Deutschen Buchhandlungspreis als besonders herausragende Buchhandlung ausgezeichnet. „Das war wirklich eine ganz wunderbare Sache.“ Das Preisgeld hat Philler in die Restauration des historischen Mobiliars der Bücherstube investiert. „Wir haben ein halbes Jahr nur gefeiert“, gesteht er lachend, „und ganz nebenbei habe ich durch die viele Presse noch zwei Cousins wiedergefunden.“

Gunther Philler, porträtiert von der Jenaer Künstlerin Gerlinde Böhnisch-Metzmacher

Die Büchergilde gehört seit 2014 zum Sortiment der Bücherstube. Eine mit dem Logo der Buchgemeinschaft selbst dekorierte Lampe taucht die Bände in ein heimeliges Licht. „Mit der Büchergilde würde ich sehr gern noch mehr in die Öffentlichkeit, den Leuten diese schönen Bücher ans Herz legen.“ Darin liegt für Gunther Philler noch immer der Reiz seines Berufs: mit den Menschen zu tun haben und ihre Wünsche erfüllen. Vielleicht haben ihm das auch seine Eltern mitgegeben, die eine Konditorei und ein Café führten. „Eine Zeit lang wollte ich Kellner werden. Das hatte auch etwas mit Gastlichkeit zu tun, mit Menschen, denen man begegnet.“