Emmanuel Carrère, geboren 1957, lebt als Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmregisseur in Paris. Seine genresprengende Prosa wird in über 20 Sprachen übersetzt und wurde vielfach international ausgezeichnet, z. B. mit dem Prix Renaudot 2011, dem Europäischen Literaturpreis 2013, dem Premio FIL 2017 oder dem Prinzessin-von-Asturien-Preis 2021.
Claudia Hamm, geboren 1969, ist Regisseurin, Autorin von Theatertexten und Essays. Als Literaturübersetzerin überträgt sie Emmanuel Carrère, Mathias Énard, Édouard Levé, Nathalie Quintane, Ivan Jablonka und andere ins Deutsche. Sie war nominiert für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse und erhielt den Übersetzerpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft.
Emmanuel Carrère
Aus dem Französischen von Claudia Hamm,
Fester Einband,
Lesebändchen,
352 Seiten. Einbandgestaltung von Katja Holst.
NR 173808 | € 23.00
Alles beginnt gut: Emmanuel Carrère plant ein feinsinniges Büchlein über Yoga. Bei seinen Recherchen in einem Meditationszentrum läuft noch alles bestens, doch dann wird er eingeholt: vom Tod eines Freundes beim Anschlag auf Charlie Hebdo, von Krankheit, unkontrollierbarer Leidenschaft, Trennung und Verzweiflung. Durch eine schonungslose Selbstanalyse zwischen Autobiografie, Essay, Chronik und Roman gelingt Carrère der Zugang zu einer tieferen Wahrheit: was es heißt, ein in den Wahnsinn der heutigen Welt geworfener Mensch zu sein.
Ein aufwühlender und tiefsinniger Roman über die Kraft und die Qualen der Meditation und die Fragilität des menschlichen Geistes.
Hervé Le Tellier
Aus dem Französischen von Romy und Jürgen Ritte. Schutzumschlag, geprägter fester Einband mit Schutzumschlag, farbiges Vorsatzpapier, Lesebändchen, 352 Seiten, Umschlaggestaltung von KOSMOS.
NR 173417 | € 20.00
Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York
durch einen elektromagnetischen Wirbelsturm. Die Turbulenzen sind
heftig, doch die Landung glückt. Allerdings: Im Juni landet dasselbe
Flugzeug ein zweites Mal. Im Flieger sitzen der Architekt André und
seine Geliebte Lucie, der Auftragskiller Blake, der Afropop-Sänger
Slimboy, der Schriftsteller Victor Miesel. Sie alle sind nun
konfrontiert mit den Auswirkungen einer Anomalie in einer verrückt
gewordenen Welt.
Yasmina Reza
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel, fester Einband mit Schutzumschlag, farbiges Vorsatzpapier, Lesebändchen,
208 Seiten.
NR 17376X | € 20.00
Die Geschwister Popper: Serge, verkrachtes Genie und homme à femmes, Jean, der Vermittler und Ich-Erzähler, und Nana, die verwöhnte Jüngste mit dem unpassenden spanischen Mann. Nach dem Tod der Mutter entfremdet sich die jüdische Familie immer mehr voneinander. Zu ihren Lebzeiten hat keiner die alte Frau nach der Shoah und ihren ungarischen Vorfahren gefragt. Jetzt schlägt Serges Tochter einen Besuch in Auschwitz vor.
Michel Houellebecq
Aus dem Französischen von Stephan Kleiner und Bernd Wilczek. Glänzend geprägtes Leinen, 624 Seiten. Einbandgestaltung von Franziska Neubert.
NR 173662 | € 26.00
Kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2027 taucht im Netz ein Video auf, das die Hinrichtung des möglichen Kandidaten Bruno Juge zu zeigen scheint. Sein Vertrauter Paul Raison soll nun die Urheber des Videos ausfindig machen. Seine Nachforschungen werden durch eine Serie mysteriöser terroristischer Anschläge erschwert. Und auch privat kriselt es bei Raison. Gerade als es für die Kandidatur und die Landespolitik besonders düster aussieht, finden Paul und seine Frau ein unerwartetes, fragiles Glück …
"Alles, was man ernsthaft und mit Liebe verfolgt, von Kung-Fu bis zur Wartung von Motorrollern, kann man Yoga nennen."
Emmanuel Carrère, Yoga
Dass dieses Buch trotz seines Titels Yoga weder eine Anleitung zu Leibesübungen noch die esoterische Philosophie eines Quasi-Erleuchteten darstellt, sondern vielmehr fest in der Realität verankert ist, macht der französische Autor Emmanuel Carrère direkt klar: „[Yoga] ist eine Technik, keine Religion. Sie arbeitet nicht mit Vorstellungen oder Glaubensinhalten, sondern mit der Atmung, und die Atmung ist etwas Wirkliches.“ Seinem neuesten Werk lag zwar durchaus der Plan zugrunde, ein kleines, feines Büchlein über diese Lehre verfassen zu wollen. Als Carrère jedoch das Leben in all seiner Wucht dazwischenkam, wurde Yoga zu weitaus mehr.
Zu Recherchezwecken nimmt Emmanuel Carrère an einem Vipassana-Seminar teil, einem Yoga-Camp für Menschen, die sich über mehrere Tage einer strengen Prozedur des Schweigens und der Meditation widmen. Carrère begibt sich in eine doppelte Rolle: Als praktizierender und kundiger Liebhaber von Tai Chi, Meditation und Yoga findet er Gefallen an den Übungen. Gleichzeitig studiert er für sein neues Schreibprojekt insgeheim das sonderbare Konglomerat an TeilnehmerInnen. Gefällig und liebevoll-spöttisch eröffnet er sein Buch mit seinen Gedanken über die Entschleunigung des modernen Lebens, die Philosophie des Yoga sowie die Absurdität der Meditationsgemeinschaft.
Dann bricht die Realität in die abgeschiedene Klausur ein: der Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo, bei der auch ein guter Freund Carrères stirbt. Wie ein Keil fährt die Nachricht ins Leben des Autors. Eine Krise, die in Kombination mit einer schmerzhaften Trennung zu schwer wiegt – Diagnose Depression und bipolare Störung. Es folgen Zusammenbruch, Psychiatrie, Medikamente, sogar Elektroschocks. Sein Selbst zerbricht und könnte von der im Yoga angestrebten Einheit von Körper und Geist nicht weiter entfernt sein.
Doch Atmen und Schreiben sind die Elemente, die ihn zusammenhalten. Quälend langsam schreitet seine Gesundung voran. Er spricht über das Auf und Ab seines Zustands, einen einfühlsamen Interviewpartner, der seinen verwahrlosten Zustand toleriert, von einer wohltuenden Liebesaffäre. Und schließlich über seine Erlebnisse in einer Sprachschule mit jungen Geflüchteten auf der griechischen Insel Leros, die einiges für ihn in Perspektive rücken.
Mit Yoga lässt man sich auf die Lektüre der Gedankenströme eines einnehmenden Intellektuellen ein, der brillant erzählen kann und gekonnt über sich selbst und die Welt reflektiert. Schmerzhaft offen lesen sich die Passagen über seine „Endstation“, den psychischen Zusammenbruch und dessen Nachwehen, berührend solche, wenn er über den Zauber von Musik und das Tastaturtippen schreibt.
In diesem sehr persönlichen Buch philosophiert Emmanuel Carrère sprachlich elegant über sein eigenes und das Leben an sich. Nun bezeichnet man solche Lebensberichte mitunter gerne als „Nabelschau“ – die ist es auch, im positiven Sinne. Die Art, wie er seine Seele offenbart, steht in wunderbarer Balance zum „großen Ganzen“. Das lässt sich auch herrlich doppeldeutig auf die Zwerchfell-Atemtechnik der Yogalehre übertragen: Tief in den Unterleib einatmen, den Bauch um den Nabel herum mit dem Atem weiten und ihn in die Welt hinausstrecken – um alles dann wieder tief in sich selbst zurückzuziehen.
Marlen Heislitz
(findet Gefallen am heraufschauenden Hund.)